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Ganzem. Auch er wird erst durch die späteren Stufen der Sinnlich-

keit und des darauf gegründeten Wollens und Handelns verwirk-

licht.

In bezug auf die Grundverhältnisse ergeben sich in Übereinstim-

mung mit den früheren folgende Vorrangsätze:

Das Ich : Du-Verhältnis oder Subjekt : Subjekt-Ver- / hältnis

ist vor dem Ich : Gegenstand-Verhältnisse oder Subjekt : Objekt-

Verhältnisse.

Das Ich : Gegenstand-Verhältnis ist vor dem Ich : Idee-Verhält-

nisse. —

Von allen diesen Vorrängen bedarf nur die Stellung des Glaubens

und der Kunst eines Wortes der Erläuterung. Uber den Glauben

wurde allerdings schon das Nötige gesagt

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. Wir wiederholen aber,

daß der Glaube eine Grundbeschaffenheit des Geistes ist, die sich

erst an den anderen entfaltet, daher vorher nicht wirklich ist. Wir

wiederholen auch, daß a l l e vorherigen Stufen erst an den fol-

genden wirklich werden, daher diese so begründen wie durch-

dringen.

Derjenige Vorrang, der wohl am ehesten Anfeindung erfahren

wird, ist der des Wissens vor der Kunst. Wir müssen ihn kurz be-

gründen.

Man sagt wohl, in einfacheren Zeiten hatten die Völker höhere Kunst, aber

keine Wissenschaft; die Künstler brauchen keine Gelehrten zu sein. Das alles

ist richtig, stößt aber den Vorrang des Wissens nicht um. Der Dichter muß

zuerst den „Gegenstand“ im Geiste haben, das heißt ihn wissen (im Grenzfalle

kann dieses Gegenstandswissen im Allgemeinsten und Ersten steckenbleiben);

erst dann kann er auf seine Wurzel zurückgehen und diese in sich ausbrechen

lassen, sich gestalten lassen. Der Maler muß seine Baumschläge, Blumen, Men-

schen usw. gegenstandsmäßig kennen, bevor er malt. Selbst im Tanze, der unmit-

telbarsten und gewissermaßen gedankenlosesten Kunst, ist es unentbehrlich, daß

die Liebe, die Sehnsucht, der Kampfesmut, die in Liebestänzen und Kriegstänzen

getanzt werden sollen, gekannt, gewußt sein müssen, als Gegenstand, bevor sie

ausgedrückt, gestaltet werden können. Es ist nicht damit gesagt, daß der Künst-

ler vorerst Gelehrter sein muß, ehe er zum Gestalten kommt. Das Gegenstands-

bewußtsein braucht nicht weiterverfolgt, nicht zur begrifflichen Wissenschaft aus-

gebildet zu werden, aber es kann auch nicht übersprungen werden. Nachdem der

Mensch im Wissen sich zu einem klaren Lichte über seinen Gegenstand erhoben

hat, kann er in der Kunst, als in einem Urvermögen der gestaltenden Zeugung,

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Siehe oben S. 205 f.

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