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wieder in den Schoß der Natur zurückkehren. Im künstlerischen Tun erlangt
der Geist gleichsam wieder / ein Naturbewußtsein gegenüber dem hellen Ver-
nunftbewußtsein des Wissens und Denkens.
Umgekehrt zeigt sich der Vorrang des Wissens darin, daß es nicht w i r k l i c h
werden kann ohne die höhere Stufe. Niemand weiß seinen Gegenstand ganz,
niemand formuliert den Gedanken ganz, bevor er ihn nicht in ein Wort gefaßt
hat. Das „Wort“ ist aber schon Ausdruck, Gestalt, Versinnlichung, eine künstle-
rische Tat. Worte haben auch Ton und Rhythmus an sich und sind auch darin
sinnliche Gestaltung
1
.
C.
Das A p r i o r i
Das Apriori der betrachteten Geistesstufen gehört eigentlich in
die Erkenntnistheorie
2
. Doch soll es hier nicht unerwähnt bleiben.
Wir erkannten den ersten drei Arten des vollziehenden Bewußtseins ein eige-
nes Apriori zu. Im Gezweiungsbewußtsein ist ein objektiver Sachverhalt, ein
objektives Richtmaß für die Gezweiung dadurch gegeben, daß das Enthaltensein
des subjektiven Geistes im objektiven Geiste (im Gezweiungsgebilde) durch des-
sen objektiven Gliederbau bestimmt ist. Die gliedernde, gerechte Mittewendig-
keit gibt den Maßstab an, das Gewußtwerden des subjektiven Geistes durch
den anderen Gezweiten gibt die arteigene subjektive Unterlage für das Apriori.
Wir fanden es im Gewissen. — Im Wissen, als der Selbstunterscheidung des Ich
von dem Gegenstande, ist gleichfalls ein unverrückbares Richtmaß gegeben, näm-
lich in den fortgehenden Unterscheidungen des sich unterscheidenden Ich am
Gegenstande selbst. Schluß und analytisches Urteil sind einsichtig, das Logische
ist seinem Wesen nach einsichtig. Wir fanden das Apriori im Wahrheitsbewußt-
sein als im logischen Bewußtsein (der Überzeugung). — Ebenso ist in der Gestalt-
schau der unverrückbare Maßstab im Wesen der Gestalt als der Verleiblichung
eines Geistigen und in ihrer Untergliederung gegeben. Daher hat die Kunst am
Schönheitsbewußtsein, am „Gefallen“, ihr Apriori. — Der Wille dagegen ist rein
formal, er hat sein Apriori in den anderen Geistestätigkeiten
3
.
D.
Die g e n e t i s c h e E i n h e i t d e s g e s a m t e n
V o l l z u g e s
Was mit der Untersuchung der Vorränge erreicht werden sollte,
ist neben der Erkenntnis der Grundbestandteile des Geistes / und
1
Weiteres darüber siehe in meinem Aufsatze: Vorrang und Gestaltwandel
in der Ausgliederungsordnung der Gesellschaft, in: Logos, Internationale Zeit-
schrift für Philosophie der Kultur, Bd 13, Tübingen 1924, S. 191 ff., und in
meiner Gesellschaftsphilosophie, München und Berlin 1928.
2
Siehe mein Buch: Gesellschaftsphilosophie, München und Berlin 1928.
3
Siehe unten S. 272 ff., besonders S. 276 f.