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daß ein grundsätzlich anderer Weg für eine nichtmaterialistische
Erklärung der Natur gar nicht gangbar ist. Um diese Grundfrage
kann der / Streit gar nicht mehr gehen, der Streit kann nur um
die richtige Wahl der Mittel im einzelnen gehen.
Nicht nur aus der Geschichte der Physik, auch aus den Grund-
sätzen unserer Seinslehre ergibt sich uns eindeutig der Ausgangs-
punkt der Untersuchung: Wer das Stoffliche begreifen will, muß
mit jener Ansicht, die in der stofflichen Natur ein Erstes und da-
mit ein Totes und damit in ihren Vorgängen ein rein Mechanisches
erblickt, bedingungslos brechen. Die mechanische Auffassung der
Natur muß endlich als ein der neueren Menschheit künstlich aner-
zogenes materialistisches Vorurteil erkannt werden. Wer wird
einen unverbildeten Menschen davon überzeugen können, daß der
gestirnte Himmel ein Mechanismus bedeutungsloser Massen und
Gewichte gleich einem Uhrwerke sei? Beim Denken von „Stoff“
ergibt sich die merkwürdige Tatsache, auf die schon Leibniz hin-
wies, daß er sich um so mehr in Unstoffliches auflöst, je genauer
man allen seinen einzelnen Eigenschaften nachdenkt. Was lernen
wir vom Stoffe durch die Erfahrung kennen? Gewicht, Druck,
Härte, Festigkeit, Elastizität, Wärme, magnetische und elektrische
Eigenschaften, Farbe, Geruch, Geschmack, chemische Eigenschaften
usw. — überall ist es Unstoffliches, überall sind es sogenannte
Kräfte (sowie die Härte als Widerstandskraft, das Gewicht als
Schwerkraft gefaßt), sind es „Eigenschaften“, Beschaffenheiten, das
heißt aber Äußerungsweisen, Tätigkeitsweisen oder Bewegungen
(wieder eine Tätigkeit) — nirgends bleibt im Stoffe ein Stoffliches,
stets ist es ein Unstoffliches, eine Wieheit, auf die wir treffen. Die
Physik hat daher mit Notwendigkeit alle diese Begriffe um so mehr
ausgeschaltet, je mehr sie sich auf die Darstellung gesetzmäßiger
Größenänderungen in der Natur beschränkte.
Für eine tiefere Naturphilosophie ist es nötig, den unmechani-
schen Grund dessen, was sich in der großartigen Beständigkeit seines
Verhaltens äußerlich als „mechanisch“ darstellen läßt, was sich sogar
mathematischer Behandlung unter- / werfen läßt, aufzuzeigen. Es
ist nötig, die vorstoffliche, die immaterielle Wurzel des Materiellen
zu erkennen. S t o f f i s t n u r a l s Ä u ß e r u n g e i n e s
U n s t o f f l i c h e n m ö g l i c h , S t o f f i s t n u r d u r c h
S t o f f l o s e s m ö g l i c h .