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behandeln haben. An dieser Stelle soll von der Platonischen Lehre
ausgegangen, aber der allgemeine Zu- / sammenhang der Fragen
doch schon soweit verfolgt werden, als nötig ist, um die späteren
Untersuchungen vorzubereiten.
1.
Die K r i t i k d e s A r i s t o t e l e s a n d e r
P l a t o n i s c h e n I d e e n l e h r e
In die inneren Schwierigkeiten und Fragen der Platonischen
Ideenlehre führt am besten die Kritik, die Aristoteles daran übte,
ein. Eduard Zeller hat diese Kritik mit Sorgfalt dargestellt. Wir
glauben am besten zu tun, wenn wir Zellers Zusammenstellung hier
mit geringen Kürzungen wiedergeben.
Zeller schreibt
1
: Platons Ansicht, „daß.. . nur das Allgemeine als solches
[in Form der Idee] ein Wirkliches sein könne, und daß es mithin außer der
Erscheinung als etwas Substantielles für sich sein müsse“, vermag sich Aristoteles
nicht anzuschließen; „und eben dieses ist der Mittelpunkt, um welchen sich seine
ganze Bestreitung der platonischen Metaphysik dreht. Jene Voraussetzung...
verwickelt [nach Aristoteles] sich ... in die unauflöslichsten . .. Widersprüche ...
Die Annahme von Ideen [als transzendenter] ist nicht begründet.. . ihr Inhalt
ist ganz derselbe, wie der der diesseitigen Dinge, im Begriff des Menschen — an —
sich [das heißt der Idee des Menschen] sind dieselben Merkmale enthalten, wie
im Begriff des Menschen überhaupt, er unterscheidet sich von diesem nur durch
das Wort Ansich
2
. Die Ideen erscheinen daher unserem Philosophen [Aristote-
les] als eine ganz überflüssige Verdopplung der Dinge in der Welt, und /
zur Erklärung der letzteren Ideen vorauszusetzen, kommt ihm nicht weniger
verkehrt vor, als wenn jemand, der die kleinere Zahl nicht zählen kann, es mit
der größeren versuchen wollte
3
. — Aber auch abgesehen [davon] ... ist die
1
Eduard Zeller: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Ent-
wicklung, Teil 2, Abt. 2, 4. Aufl., Leipzig 1921, S. 293 bis 297. Die Anführungen
der langen griechischen Belegstellen Zellers sind im folgenden weggelassen, je-
doch die Hinweise auf die belegten Stellen selbst fast durchaus beibehalten. Die
Zusätze in eckigen Klammem stammen von mir.
An weiterem Schrifttum vgl. Hans Meyer: Die Geschichte der alten Phi-
losophie, München 1925, mit einer besonders sorgfältigen Darstellung von Pla-
tons Ideenlehre, S. 139 ff., 155 ff. und 279 f. — Werner Jaeger: Aristo-
teles, Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, Berlin 1923, S. 175 ff.
und öfter. — Erich Frank: Plato und die sogenannten Pythagoreer, Halle 1923,
S. 111 ff.
2
Aristoteles: Metaphysik, übersetzt von Eugen Rolfes, 2. Aufl., Leipzig
1920, III, 2, 997 b, 5 (= Philosophische Bibliothek, Bd 2 b—3 b). — Ähnlich
Metaphysik, VII, 16, 1040 b, 32; XIII, 9, 1086 b, 10; vgl. Nikomachische Ethik,
übersetzt von Eugen Rolfes, 2. Aufl., Leipzig 1921, I, 4, 1096 a, 34 (= Philo-
sophische Bibliothek, Bd 5); Ethica Eudernia, I, 8, 1218 a, 10.
3
Metaphysik, I, 9, Anf. XIII, 4, 1078 b, 32.