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Ideenlehre. . . unhaltbar; denn die Substanz — und in diesem Satze ist wieder der

ganze Unterschied des aristotelischen und platonischen Standpunkts zusammenge-

faßt — kann nicht von dem getrennt sein, dessen Substanz sie ist [das heißt die

Idee nicht vom Einzelwesen], der Gattungsbegriff nicht von dem, welchem er

als ein Teil seines Wesens zukommt

1

; will man dieses aber dennoch annehmen,

so gerät man von einer Schwierigkeit in die andere. Denn während es der Natur-

der Sache nach nur von dem Substantiellen Ideen geben könnte, und der platoni-

schen Lehre zufolge nur von Naturdingen welche geben soll, müßten sie doch,

wenn das allgemeine Wesen einmal überhaupt vom Einzelnen getrennt gesetzt

wird, auch für verneinende und Verhältnisbegriffe und für Kunsterzeugnisse ange-

nommen werden

2

, ja auch von den Ideen selbst müßten die meisten andere über-

sich haben, zu denen sie sich als Abbilder verhielten, so daß dasselbe Urbild und

Abbild zugleich wäre

3

, es müßte ebenso von jedem Ding, da es unter mehrere

einander unter- und übergeordnete Gattungen fällt, mehrfache Ideen geben

4

, die

allgemeinen Merkmale, welche zusammen den Begriff bilden, müßten gleichfalls

besondere Substanzen, und es müßte so eine Idee aus mehreren Ideen, eine Sub-

stanz aus mehreren [Substanzen] ... zusammengesetzt sein

5

. Wenn ferner

die Idee Substanz sein soll [das heißt etwas Fürsichbestehendes als Einzel-

wesen], so könnte sie nicht zugleich allgemeiner Begriff [der allen Dingen

gemeinsam ist] sein

6

, sie ist nicht die Einheit der vielen Einzeldinge, sondern

ein Einzelding neben den andern

7

. . . ; es läßt sich daher auch von ihr so wenig,

als von einem anderen Einzelwesen, / eine Begriffsbestimmung geben

8

; wenn die

Idee der Zahl nach eins ist, wie das Einzelwesen, so muß ihr auch von den ent-

gegengesetzten Bestimmungen, durch welche der Gattungsbegriff geteilt wird, je

eine zukommen, dann kann sie aber nicht selbst die Gattung sein

9

. Sollen weiter

die Ideen das Wesen der Dinge enthalten, und doch zugleich unkörperliche, für

sich bestehende Wesenheiten sein, so ist dieses ein Widerspruch; denn teils

redet Plato, nach der Darstellung des Aristoteles, auch von einer Materie der

Ideen, was sich damit nicht vereinigen läßt, daß sie außer dem Raume sein sol-

len

10

, teils gehört bei allen Naturgegenständen die Materie und das Werden mit

zu ihrem Wesen und Begriff, dieser kann daher nicht getrennt von demselben

für sich sein

11

, auch die ethischen Begriffe lassen sich jedoch nicht schlechthin

von ihren Gegenständen trennen: es kann keine für sich bestehende Idee des

Guten geben, denn der Begriff des Guten kommt in allen möglichen Kategorien

1

Metaphysik, I, 9, 991 b, 1; XIII, 9, 1085 a, 23. — Vgl. VII, 6, 1031 a, 31 c,

14, 1039 b, 15.

2

Metaphysik, I, 9, 990 b, 11 ff., 22, 991 b, 6; XIII, 4, 1079 a, 19 c, 8, 1084 a,

27; Analytica posteriorum, I, 24, 83 b, 18.

3

Metaphysik, I, 9, 991 a, 29; XIII, 3, 1079 b, 34.

4

Metaphysik, I, 9, 991 a, 26.

5

Metaphysik, VII, 13, 1039 a, 3 c, 14; vgl. 8, 1033 b, 19; I, 9, 991 a, 29;

XIII, 9, 1085 a, 23.

6

Metaphysik, XIII, 9, 1086 a, 32; VII, 16, 1040 a, 26 ff.; vgl. III, 6, 1003 a, 3.

7

Metaphysik, I, 9, 992 b, 9; XIII, 9.

8

Metaphysik, VII, 15, 1040 a, 8—27.

9

Topik, übersetzt von Eugen Rolfes, 2. Aufl., Leipzig 1922, VI, 6, 143 b, 23.

10

Physik, griechisch und deutsch von Karl von Prantl, Leipzig 1854, IV, 1,

209 b, 33.

11

Physik II, 2, 193 b, 35 ff.