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Ganzheit. Die aus der anderen Seinsordnung stammenden Eigen-
schaften aber können in ihrer Ordnung Substanz sein. („Weiß“ ist
Akzidenz des Menschen, gliedhafte Substanz in der Farbenordnung.)
Die verschiedene Ganzheitsnähe der Teilinhalte und ihrer Bestand-
teile erklärt auch die verschiedene Wesentlichkeit der Akzidenzien.
Seinen letzten Grund hat aber der Substanzbegriif in der Rück-
verbundenheit. Die Ausgliederung allein (die reine Immanenz)
könnte es nicht begründen, daß „Eigenschaften“ in einem „Sub-
jekte“ inhärieren. Erst dadurch, daß die Glieder / in der Ganzheit
(Eigenschaften im Subjekte) r ü c k v e r b u n d e n sind, inhärie-
ren sie und erst dadurch wird die Ganzheit zum „Träger“. Nur in-
dem die Idee im Dinge nicht untergeht, kann dieses die Natur der
„Substanz“ erlangen.
C. Die I d e e a l s V o r b i l d d e r D i n g e
Werden die Ideen von den Dingen getrennt und können diese
nur durch Teilnahme an ihnen Sein erlangen, so erscheinen die
Ideen auch als das Vorbild, als das Musterbild; damit weiter als
die Norm, das heißt als das Geltende (ein Begriff, der ja durch Her-
mann Lotze und den Neukantianismus große Bedeutung erlangte).
Wird die Idee in die Dinge verlegt, wie bei Aristoteles, so er-
scheint die „Vorbildlichkeit“ damit nicht ausgemerzt, sondern noch
immer von Bedeutung. Denn die Idee oder „Form“ ist dann nicht
schlechthin einerlei mit dem sinnlichen Ding, sie ist ebensowohl als
„Entelechie“ (wörtlich: die Voll-endung, das Hineinbilden des
Zweckes, telos, in das Ding), wie auch als „Endzweck“ (was im
Grunde das gleiche wie „Entelechie“ besagt), das Vorbild des Din-
ges, das Normierende, das Geltende des Dinges.
Das Vorbild kann in beiden Fällen, sowohl im Platonischen wie
im Aristotelischen Falle, nicht ganz erreicht werden, weil schon die
Materie, die Seinsweise der Sinnlichkeit, daran hinderlich ist. Darum
gilt in beiden Fällen der von Aristoteles aufgestellte Satz: „Das Voll-
kommene ist von Natur vor dem Unvollkommenen“
1
, was soviel
heißt wie: Die Idee ist vor ihrer Erscheinung.
1
Vgl. Aristoteles: De coelo, I, 2
.