[540/541]
481
christlichen Theologen vollzogen. Die Neuplatoniker verlegten die
Ideenwelt in den Weltgeist,
νούς
, und ließen sie doch zugleich als
Substanzen, selbständige Wesen, bestehen
1
. Zu Gedanken Gottes
im christlichen Sinne machte sie Augustinus
2
.
„Die Ideen sind sozusagen ursprüngliche Formen oder feststehende und un-
wandelbare Urgründe, die selbst nicht geformt worden sind, demnach von
Ewigkeit her bestehende und stets sich gleich bleibende Urbilder, die in der gött-
lichen Erkenntnis enthalten sind. Und während sie selbst nicht entstehen und
nicht vergehen, so wird doch alles nach ihnen gebildet, was entstehen und ver-
gehen kann, und was (wirklich) entsteht und vergeht. Die Seele vermag sie nur
zu schauen mit ihrer übersinnlichen Kraft, / gleichsam mit ihrem inneren und
rein geistigen Auge.“
3
— An einer andern Stelle heißt es: „Die Urgedanken
(Ideen), wo sollen sie sein, als im Geiste des Schöpfers selbst? Denn nicht außer
sich sah er etwas gegeben ...“ Trotzdem haben die Ideen zugleich ein Sein für
sich: „Wenn die Urgedanken der... Schöpfung im göttlichen Geiste gegeben
und enthalten sind, und wenn im göttlichen Geiste nur etwas Unwandelbares
sein kann... so sind sie nicht nur Ideen, sondern, weil sie ewig sind, wesenhafte
Wirklichkeiten... Durch den teilnehmenden Zusammenhang mit ihnen besteht
alles, was da ist. .. Die vernünftige Seele aber ragt über all die Dinge hinaus,
die von Gott erschaffen sind.“
4
1
Vgl. Plotin: Enneaden, übersetzt von Richard Harder, Leipzig 1930—37,
V, 5, 5
( =
Philosophische Bibliothek, Bd 211 a):
ότι ούκ εξω τού νού τά νοητά
Das ältere Schrifttum über die ganze Frage bei Eduard Zeller: Die Philosophie
der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Teil 2, Abt. 1, 5. Aufl., Leip-
zig 1922, S 664. — Wenn Zeller dort sagt, daß die späteren Platoniker, die Neu-
platoniker und die „platonisierenden Realisten des Mittelalters“ „nicht bemerkt“
hätten, „daß beides sich widerspricht“, nämlich die Ideen als Gedanken Gottes
und doch zugleich als „Substantialitäten“ aufzufassen, so vergaß er leider den
Nachweis für das „Nicht-Bemerken“ wie für den angeblichen Widerspruch zu
erbringen — als wenn jene Philosophen nicht scharfe logische Denker gewesen
wären!
2
Vgl. die Nachweise bei Franz Anton Staudenmaier: Die Lehre von der Idee,
In Verbindung mit einer Entwicklungsgeschichte der Ideenlehre und der Lehre
vom Logos (= Die Philosophie des Christentums oder Metaphysik der heiligen
Schrift, Bd 1), Gießen 1840, S. 248 ff. und öfter; vgl. zum folgenden auch Johann
Eibl: Augustin und die Patristik, München 1923, S. 321 f., 309 und öfter.
3
Franz Anton Staudenmaier: Die Lehre von der Idee, Gießen 1840, S. 46, 2;
vgl. Augustinus: De civitate Dei, 11, 10, deutsch von Alfred Schröder (22 Bücher
über den Gottesstaat), Bd 2, Kempten 1914, S. 160 f. (= Bibliothek der Kirchen-
väter, Bd 1). — Gott ist die Eine Weisheit, in der sich „alle unsichtbaren und
unwandelbaren Urgründe der Dinge, wie der sichtbaren und wandelbaren“ befin-
den (nach Schröder auch obige Übertragung).
4
Franz Anton Staudenmaier: Die Lehre von der Idee, Gießen 1840, S. 83;
Johann Eibl: Augustin und die Patristik, München 1923, S. 120. — Vgl. noch
Franz Anton Staudenmaier: Die Lehre von der Idee, Gießen 1840, S. 46; Augu-
stinus: De trinitate, 14, 21; 4, 3.
31 Spann 10