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selbst hat? Denn eben in jenen Artunterschieden zeigt es sich ja, daß die Spon-
taneität des Allgemeinen nicht mit den vielen Spontaneitäten der endlichen Indi-
viduen Zusammenfalle, weil jene sonst nicht organisierende Typen sein könnten,
welche durch alle endlichen Individuen einer Art hindurchgehen... von der Ur-
einheit [Gott] müssen hiermit jene als verschiedene Reflexe ihrer... Spontanei-
tät ausgehen. Es ist aber ganz natürlich .. . daß, wenn die Zentraleinheit ihre
Unendlichkeit in peripherischen Individuen reflektiert, sie sich zunächst in be-
sondere, selbst aber relativ allgemeine Unterschiede dirimiert, w e l c h e w o h l
a l l g e m e i n e T y p e n i h r e r S e l b s t a n s c h a u u n g , a b e r n i c h t
s e l b s t S u b s t a n z e n s e i n w e r d e n
1
, zu solchen, vielmehr erst / in
jenen peripherischen Individuen werden können. Der Grund hiervon liegt darin,
daß die relativ allgemeinen Unterschiede, durch welche hindurch die höchste
Einheit sich im Endlichen verwirklicht, nur ihre ideellen Anschauungen in sich
selbst... sind. Ein für sich Tätiges [das heißt Substanzen, konkrete Wesen] kön-
nen sie erst werden in der äußersten Spitze der Selbstunterscheidung Gottes
[das heißt als letzte Konkreta, als Individuen], in welcher sie den Puls der
Selbstheit empfangen, den das Zentrum in sich hat.. .“
2
. Wirth will dies an dem
Beispiele des menschlichen Schaffens erläutern. Der Mensch „ist die subjektive
Einheit aller seiner Schöpfungen und ebenso ist das Äußerste in seinem Schaf-
fen ... etwas dem Individuellen Vergleichbares...“, z. B. eine Statue, die der
Künstler schafft. „Die beiden Extreme also, der künstlerische Geist und das
Kunstwerk sind individuell, aber die Mitte hiervon, die a l l g e m e i n e n
P l ä n e , d i e d e m S c h a f f e n d e s I n d i v i d u e l l e n v o r a n g e h e n ,
s i n d i n d i v i d u a l i t ä t s l o s“, daher auch nicht wirklich
3
.
Das Wesentliche dieser Beweisführung ist, daß die Gedanken Gottes das
Allgemeine enthalten, durch das h i n d u r c h der Schöpfer die Individuen
schafft, daher jenes Allgemeine für sich selbst nicht wirklich sei, ähnlich wie auch
beim menschlichen Schaffen einerseits der Künstler wirklich ist, andererseits sein
Geschöpf, das Kunstwerk, nicht aber die „allgemeinen Pläne“ seines Schaffens.
Dieser Gedankengang mag bestechlich genug erscheinen. Er beruht aber auf
zwei Fehlern. Erstens verwechselt er die Stufen der Ganzheiten (die Stufen der
Schöpfung) mit den Teilinhalten (Teilganzen). Der Schöpfer denkt den ganzen
Stufenbau der Welt, j e d e Stufe mit ihren Gliedern denkt und schafft er,
konkret-individuell, selbsthaft und wirklich. Dagegen denkt er die Inhalte
(Teilganzen) der Stufen und Glieder nicht wieder für sich als individuelle, sondern
nur immer wieder als jene Lebensinhalte oder Qualitäten, die auf allen Stufen
wiederkehren. (Den Unterschied von Stufe und Teilinhalt haben wir oben
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dar-
gelegt. Nur von den Stufen gibt es Ideen.) Zweitens aber deutet Johann Ulrich
Wirth das Schaffen nicht richtig. Bei seinem Beispiele der Statue kommt in Wahr-
heit ein Allgemeinbegriff, ein allgemeiner „Plan“ gar nicht vor. Dem Künstler
schwebt ein i n d i v i d u e l l e s Bild vor und dieses meißelt er! (Die allgemeinen
Qualitäten, wie groß, klein, milde, herbe, werden nicht / als selbständige All-
gemeinheiten, sondern als Teilinhalte [Teilganze, Qualitäten] an dem zu schaf-
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Von mir gesperrt; das heißt, daß Gott zuerst die Allgemeinbegriffe und
durch diese hindurch erst die Individuen denkt; die Allgemeinbegriffe daher keine
selbständig existierenden Wesenheiten sein würden.
2
Johann Ulrich Wirth: Die spekulative Idee Gottes, Stuttgart 1845, S. 44 f.
3
Johann Ulrich Wirth: Die spekulative Idee Gottes, Stuttgart 1845, S. 45 f.,
Sperrdruck von mir.
4
Siehe oben S. 463 und öfter.