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Vom Standpunkte der Ganzheitslehre bleibt die V o r b i l d -

1 i c h k e i t der Idee und ebenso der Begriff des G e l t e n s

(Normierens) aufrecht, aber in anderer Weise als bisher. Maß- /

gebend ist der Satz: daß die Geschöpfe notwendig hinter seinem

Schöpfer, die Glieder notwendig hinter dem Ganzen Zurückbleiben.

Diesen Satz haben wir in der „Kategorienlehre“ begründet und ver-

weisen hierauf

1

. Der Satz: „Das Vollkommene ist vor dem Un-

vollkommenen“, gilt uns nach Maßgabe des Satzes: Das Ganze ist

vor dem Gliede. A l l e s S e i n i s t g e s o l l t e s S e i n . Die

Dinge sind nicht nur etwas (was man heutzutage im mechanischen

Sinne versteht), sondern wirken ein ihnen Vorgeschaffenes, Aner-

schaffenes, Aufgegebenes aus. Das geht sowohl aus dem Begriffe des

gliedhaften Eigenlebens wie aus dem Begriffe „Schaffen aus Geschaf-

fenwerden“ hervor. Damit fällt auch die Behauptung, an die sich in

den Gesellschaftswissenschaften der letzten zwanzig Jahre ein be-

schämender Streit anschloß, daß die Geisteswissenschaften, und ins-

besondere die Volkswirtschaftslehre, „wertfrei“ wären

2

.

„ G e l t e n “ , „ G e l t u n g s z u s a m m e n h a n g “ i s t d e m n a c h k e i n

r e i n f o r m a l - v e r f a h r e n h a f t e r B e g r i f f wie im Neukantianismus;

er ist ontologisch unterbaut und darum kann auch von der neukantischen Zer-

reißung des „Seins“ und des „Sollens“ keine Rede mehr sein. Die „Vorbildlich-

keit“ oder das „Gelten“ der Idee weist auf das Schöpferische der Idee hin. Sein

ist Schaffen aus Geschaffenwerden. Das „Geschaffenwerden“ im eigenen Schaffen

zu erreichen, darin liegt die Vorbildlichkeit. Unser Satz: „Alles Sein ist gesolltes

Sein“, sagt also, daß jede als gliedhaftes Einzelwesen schaffende Idee das, was

die höhere, allgemeinere Idee ihr anerschafft, zu ihrem Vorbilde hat. Die Welt

fühlt sich nicht nur als geschaffene Welt, sondern auch selbst als Schöpfer.

Der Idee muß die allgemeine Eigenschaft des Geistes zugebilligt

werden, Selbstsetzung, Spontaneität zu sein. Das ist aber, wenn die

Idee als die „wirksame Ganzheit“ gefaßt wird, als die wir sie oben

3

erkannten: die U n e r m ü d l i c h k e i t . Die Idee schafft uner-

müdlich, sie kennt keinen Stillstand, sie ist mitten unter ihrem Bei-

sich-selbst-Bleiben unaufhörliche / und unermüdliche Schaffens-

kraft. Wie wir denn auch in der Geisteslehre sahen, daß der Geist

ohne Aufhören denkt und schafft und eine Unterbrechung der inne-

ren Bewegung, der Selbstsetzung seinem Wesen entgegen wäre.

1

Vgl. meine Kategorienlehre, 2

.

Aufl., Jena 1939, S. 153 f., 164 und öfter.

2

Kategorienlehre, 2. Aufl., Jena 1939, S. 116 f. 164 f. und 317 ff.

3

Siehe oben S. 433 f.