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diskursiven Denken nicht scharf genug trennen kann. Welches Ver-

hältnis besteht nun zwischen diesen beiden Weisen des Denkens? Das

schauende Denken ist empfangend, die Eingebung — der „Blitz

der Intuition“ — ist das kostbarste Geschenk, das der forschende

Geist erlangt; aber das Eingebende ist s e i n e r s e l b s t n i c h t

m ä c h t i g , es enthält nur ein Unmittelbares, Einfaches, ein gleich-

sam noch Stummes; und darum muß es erst durch zerlegendes, be-

wußt trennendes und schließendes Denken in die Mannigfaltigkeit

gebracht, gleichsam zum Reden gezwungen, dem übrigen geistigen

Besitzstande eingegliedert und damit endlich zur vollen Klarheit

des Bewußtseins erhoben werden.

Daraus erhellt nun eine gewisse G e g e n s e i t i g k e i t z w i -

s c h e n s c h a u e n d e m u n d z e r l e g e n d e m D e n k e n ,

keines kann ohne das andere sich ausbilden; aber den Vorrang hat

das schauende Denken, denn es liefert seinem Begriffe nach dem zer-

legenden erst den Stoff und die Aufgabe. Dennoch ist dieses Ver-

hältnis nicht einseitig, nicht von solcher Art, daß das schauende

Denken der bloße Geber und das zerlegende der bloße Nehmer

wäre. Auch das zerlegende gibt etwas an das schauende Denken: das

Geschaute wird durch die zerlegende Begriffsarbeit erst zu seiner

vollen Wirklichkeit und Gestalt gebracht; am Grunde des zerlegen-

den Denkens wieder liegt das Geschaute, die Intuition, die in den

zerlegten Gliedern niemals ganz untergehen kann: Darum auch

kein Begriff nur „rational“ ist — ein Grundirrtum aller aufklä-

rerischen Logik! Stets liegt ihm ein Irrationales zugrunde, das nur

unmittelbar Erfaßbare, Geschaute; darum auch ein Denker, der den

intuitiven Grund seines Begriffes nicht erfaßt, „wie ein Blinder von

der Farbe“ spricht und nur, wie man sagt, um die Ecke zu sehen

vermag.

Schon innerhalb des Reingeistigen selbst sehen wir an diesem Bei-

spiele eine Gegenseitigkeit obwalten, die darin besteht: daß das eine

Element durch das andere, gliederndes Denken durch Eingebung,

Eingebung durch gliederndes Denken zur Wirklichkeit gelangt. Das-

selbe Verhältnis waltet nun zwischen dem Geistigen und dem

Handeln ob: Zwischen ihnen besteht Gegenseitigkeit in dem Sinne,

daß Geistiges erst durch Handeln wirklich wird, daß Wirken und

Werk stets und notwendig ein Geistiges zum Vorschein, ein Inneres

zur Veräußerung bringt. Was das S c h a u e n für das Denken, das