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Und doch lehrt die nähere Prüfung, daß dieser Gedankengang

nicht richtig sei. Das Vollkommene ist o n t o l o g i s c h vor dem

Unvollkommenen, das Ideal als ein G ü l t i g e s vor dem Wirk-

lichen, welches sich dem Ideal, / nach dem es gebildet ist, wieder zu-

zubilden hat. Daher kann in dem einmal Gewordenen, im Empi-

risch-Wirklichen, die Richtung auf Vervollkommnung, als welche

wir die Sittlichkeit bestimmten, sowohl begrifflich wie tatsächlich

(genetisch) immer erst n a c h t r ä g l i c h einsetzen. Erst nach-

träglich zeigt sich die Notwendigkeit, das jeweils Vollkommene in

allen Geistesinhalten zur richtunggebenden Rangordnung, zum

Ideal zu machen. Sittlichkeit ist erst auf die Vervollkommnungs-

aufgabe gegründet. Diese Aufgabe geht erst aus erfolgter unvoll-

kommener Ausgliederung des empirisch gegebenen Geistursprüng-

lichen hervor. Im Himmel der Vollkommenen gibt es daher keine

Sittlichkeit; aber Sittlichkeit ist der Drang nach diesem Himmel;

dieser Drang das Gewissen. — Daraus ergibt sich der Vorrangsatz:

Das Geistursprüngliche in seiner vollkommenen Gestaltung ist vor

dem Sittlichen.

Welcher Art ist aber dieser Vorrang? Er ist keiner des in den frü-

heren Sätzen erforderten Gestaltwandels, nach der Formel: „ . . . will

sich in Sittlichkeit verwandeln“. Nein, hier findet vielmehr das

Gegenteil statt: das empirisch unvollkommene Geistursprüngliche

will sich d u r c h Sittlichkeit in das Vollkommene verwandeln. Die

Sittlichkeit ist eben nicht selbst ein inhaltlich Arteigenes. Sittlich-

keit stellt nicht wie das Wissen der Religion und wie die Kunst

dem Wissen ein Ursprüngliches gegenüber; sie sagt j e d e m ge-

sellschaftlichen Teilinhalte, was sein Vollkommenes sei. Religion

kann sich aber daher nicht in gleicher Weise in Sittlichkeit „ver-

wandeln“, wie in Wissen oder Kunst. Wenn der Glaube sich w e i ß ,

so hat er damit eine neue Wirklichkeit erlangt; wenn aber der

Glaube durch Sittlichkeit nur vollkommener wird, so ist keine Neu-

Artung (Verwandlung) eingetreten.

Wir fügen trotz dieser Verschiedenheit des hier vorliegenden

Vorranges der bloßen Wiederherstellung von den Vorrängen des

Gestaltwandels den folgenden Satz der Reihe unserer bisherigen

Sätze ein. Es gilt:

(5)

Das G e i s t u r s p r ü n g l i c h e u n d s e i n e A b l e i -

t u n g e n s i n d i h r e r r e i n e n W e s e n s v o l l k o m m e n -