Table of Contents Table of Contents
Previous Page  5018 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 5018 / 9133 Next Page
Page Background

142

[90/91]

Gut zu erlangen; in der Pflichtenlehre, welches Verhalten des Sub-

jektes dazu nötig sei. Das Hervorbringliche, das in der Sittenlehre

überall anzutreffen ist, macht, daß sie gleichsam ein zweiter Schöpfer

in der menschlichen Gesellschaft wie im Geiste und Tun des Einzel-

nen wird.

Hieraus ergibt sich auch die eigentümliche Stellung in der

Gesamtheit des gesellschaftlichen Lebens.

Indem die Sittlichkeit Quelle vervollkommnenden Tuns ist, tritt

sie als r a n g f e s t s t e l l e n d e r Geist ähnlich wie ein neuer Teil-

inhalt praktisch neben das Geistursprüngliche und zu ihm hinzu,

und bildet dadurch als f e s t i g e n d e r G e i s t , das ist als ein das

Geistursprüngliche und seine Ableitungen samt dem Handeln Ver-

vollkommnendes, mit diesem eine neue, größere Einheit. Wir nen-

nen diese neue Einheit den g e f e s t i g t e n G e i s t d e r G e -

s e l l s c h a f t o d e r d i e K u l t u r .

„K u l t u r“ ist das durch die Sittlichkeit gefestigte, zu steter

innerer, schöpferischer Selbstreinigung und Neuhervorbringung ge-

brachte Geistursprüngliche mit seinen Ableitungen — zum Unter-

schiede von der „C i v i 1 i s a t i o n“, welche der Inbegriff des

Äußerlichen, insbesondere der Technik einer Kultur ist.

Das Geistursprüngliche für sich selber verdient noch nicht den

Namen der „Kultur“ oder des „gefestigten, des vereinheitlichten /

und vervollkommnten Geistes“. Erst die Sittlichkeit als Quelle

des Handelns macht, daß uns das Geistursprüngliche nunmehr nicht

nur als eine bloß inhaltlich bestimmte Einheit von Religion, Wissen

und Kunst entgegentrete, sondern darüber hinaus als der in einem

geordneten Streben in Vervollkommnung und innerer Erneuerung,

Wiederherstellung begriffene Geist, so daß er erst jetzt als ein wohl

gegründeter, dem Verfall entzogener, als ein gefestigter und gleich-

sam sich selbst verklärender Geist sich darstellt. Und diesen erst

nennen wir „Kultur“. Darum ist in diesem Betracht der „Nieder-

gang einer Kultur“ ein ebensolcher Widerspruch wie „sterbendes

Leben“.

Das ist der Schlüssel für die Verfallzeiten der Geschichte: das Ab-

sterben der Sittlichkeit, des Strebens nach wesenhafter Vollkom-

menheit. Verfall ist die Abschwächung, Verneinung der Festi-

gung des Geistursprünglichen. Echte Kultur ist ein kräftiges Grünen

und Blühen des vervollkommnenden Geistes.