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Ein etwaiger Vorwurf, daß wir zu viele Elemente im sittlichen Vorgange
unterscheiden, könnte uns nicht treffen. Denn die Abtrennung des Heilsgutes
sowohl vom ursprünglichen Gute wie vom äußeren, wirtschaftlichen Gute (in
dem sich selbst toten und wertlosen Mittel) erweist sich als unentbehrlich zur
klaren Unterscheidung des Wesentlichen; wie auch die Abtrennung des End-
zustandes, ursprünglichen Gutes vom Ausgangszustande der Unvollkommenheit
und Sünde; wie auch endlich und besonders des Tugendgrundes von der konkreten
Tugend selbst und der Pflicht als der bloßen Verbindlichkeit der Tugend (wie
des Gutes) von der Tugend.
Erst eine solche reine Scheidung der wesentlichen Bestandteile voneinander
kann e i n e l e b e n s w a h r e D a r s t e l l u n g d e s u n e n d l i c h r e i -
c h e n s i t t l i c h e n L e b e n s d e r E r f a h r u n g u n d G e s c h i c h t e
e r m ö g l i c h e n .
D a s G e f ü g e aller dieser Bestandteile der Wiedervervollkommnungsord-
nung wird durch die Vorrangsätze bestimmt
1
.
Die Wiedervervollkommnungsordnung läßt auch durch Umkeh-
rung die Bestandteile der Unsittlichkeit erkennen, die man, wenn
anders das / nicht eine Seltsamkeit wäre, als V e r f a l l s o r d -
n u n g bezeichnen könnte — auch der Teufel nimmt seine Straße.
Dem Vollkommenheitsgute entspricht in der Verfallsordnung: das
Ü b e l u n d d a s B ö s e ; der Tugend entspricht: das L a s t e r oder
die S ü n d e ; dem Heilsgute: V e r f ü h r u n g s - u n d V e r -
d e r b n i s m i t t e l (sittliches Gift); der Pflicht: die W i l l k ü r
(Ungebundenheit,
Unverbindlichkeit);
dem
Tugendgrund:
das
s i t t l i c h e
U n v e r m ö g e n oder die sittliche Nichtigkeit,
folgend aus U n g e z w e i t h e i t , als der Quelle der Herzens-
kälte, sittlicher Unfähigkeit und Hingebungslosigkeit; der erreich-
ten Vervollkommnung endlich und dem sittlichen Endzustande ent-
spricht: die sittliche Z e r s t ö r u n g , d e r F a l l .
Man wird nicht leugnen können, daß Übel, Laster, Verführung,
Verderbnismittel, Willkür, sittliche Schwäche oder Nichtigkeit und
Ungezweitheit in der geschichtlichen Wirklichkeit des sinnlichen
Lebens die größte Rolle spielen.
1
Vgl. darüber unten S. 233 ff.