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Staats-, Kirchen- und Wirtschaftsführer intuitiv immer bekannt
waren.
Einige wenige Beispiele mögen das veranschaulichen, die wir trotz
der notwendigen längeren Erläuterungen in möglichst übersicht-
licher Anordnung bringen. (Die Teilinhalte treten hier nur orga-
nisiert auf, z. B. die Glaubensgemeinschaft als Kirche, die Kunst-
gemeinschaft als Verein.)
Das G u t , mit welchem wir beginnen, sei der w a h r e
S t a a t . Die nach der reinen Ausgliederung ihm wesenhaft zu-
fallende A u f g a b e (Verrichtung) ist: (a) eine fruchtbare, Gei-
stiges hervorbringende O r g a n i s i e r u n g der außen- und in-
nenpolitischen Verhältnisse, (b) die E i n h e i t aller Anstalten
(Stände) herzustellen, (c) die versagenden Anstalten (Stände) zu
v e r t r e t e n . — Die vollkommene Erfüllung dieser Aufgabe
oder die T u g e n d des Staates besteht: (a) darin, K u l t u r -
s t a a t zu sein, welcher wieder darin besteht: die Vorränge des
Geistursprünglichen überall zur Geltung zu bringen (geistige
Fruchtbarkeit und Freiheit); (b)als f ü h r e n d e A n s t a l t über-
all die richtigen Ausgliederungs- und Machtverhältnisse herzustel-
len, demnach weder zu überwuchern (Tyrannis, Zentralisation)
noch zu verkümmern (Schwäche, fahrige Dezentralisation). — Bei
empirischer Unvollkommenheit jedes geschichtlichen Staates tritt als
H e i l s g u t stets eine N e u g e s t a l t u n g , Reformation her-
vor, ohne welche Z u s a m m e n b r u c h nach außen oder Re-
v o l u t i o n im Innern unvermeidlich sind.
Ähnliches gilt von dem G u t e , welches in der v o l l k o m -
m e n e n K i r c h e sich darstellt
1
. Ihre wesensgemäße A u f -
g a b e ist (a) die fruchtbare O r g a n i s i e r u n g der geistigen
Glaubensgemeinschaft; (b) das richtige V e r h ä l t n i s zu anderen
Anstalten (Wahrung des Vorranges der Religion
2
). Die vollkom-
mene Durchführung dieser Aufgaben bildet die T u g e n d der
Kirche: (a) Lebendigerhaltung der Religion durch N i c h t -
U b e r w u c h e r u n g anstaltlichen Zwanges und Vermeidung der
1
Die polytheistische Religion erlaubt keine alles umfassende kirchliche An-
stalt. Eine solche ist nur bei einer großen einheitlichen monotheistischen Glau-
bensgemeinschaft möglich.
2
Nach dem Vorrangsatze: Religion ist vor Staat, aber Staat ist vor Kirche.