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lichen Vorgang nicht innerlich angehören, sondern als „Mittel für

Ziele“ jedem geistigen und gesellschaftlichen Vorgang dienen —

äußerlich dienen —, können wir sie auch nicht zu den arteigenen,

innerlich zugehörigen Grundbestandteilen der Wiedervervoll-

kommnungsordnung zählen. Ihre Art und Sonderstellung mußte

hier erklärt werden, sie sind Vorbedingungen, Hilfen, aber dem sitt-

lichen Vorgange gehören sie selbst nicht an.

Um die Richtung auf das Vollkommene einschlagen zu können,

genügt nicht Ziel und Weg (Gut und Heilsgut). Es muß überdies

eine arteigene Tauglichkeit oder T u g e n d (4) vorhanden sein.

Die Tugend unterschieden wir schon früher als F ä h i g k e i t (4a)

oder Anlage zur Vollkommenheit und als Gebrauch der Fähigkeit.

Im Gebrauche wird sie zur H a l t u n g (4b). „Haltung“ (habitus,

έξις)

heißt ja notwendig „im Gebrauche“, denn keine Haltung

ohne Ausübung. Die Tugend kommt sowohl im Sinne der Fähig-

keit wie der Haltung den einzelnen Menschen wie auch den gesell-

schaftlichen Gebilden zu. Staat und Kirche des Mittelalters z. B.

hatten ihrem Gefüge, Aufbau und Geiste nach andere Fähigkeiten

und Haltungen als Staat und Kirche von heute; der Gefolgschafts-

staat der alten Germanen andere als der ständische Staat des Mittel-

alters, dieser andere als der liberale Staat der Neuzeit, dieser andere

als der demokratische Staat von heute.

Da sich der sittliche Vorgang nicht zwischen dem einzelnen un-

vollkommenen Menschen (oder gesellschaftlichen Gebilde) und dem

einzelnen Gute abspielt, sondern beide Glieder eines Gesamtganzen

sind: das Gut Glied der sittlichen Güterordnung, der Einzelne und

das Gebilde Glied der Gesellschaft, so ergibt sich aus dieser Glied-

schaft eine Verbindlichkeit zur Anwendung der Tugend, um das

Gut zu erlangen, die P f l i c h t (5). Pflicht und Tugend sind

sachlich dasselbe; aber die Gesolltheit, Verbindlichkeit der Tugend-

anwendung wird, / insofern die Verbindlichkeit eigener Begrün-

dung bedarf, mit Recht als eigenes Moment des sittlichen Vorganges

herausgehoben und „Pflicht“ genannt. Inhaltlich allerdings können

sich keine Unterschiede ergeben und eine eigene inhaltliche Pflich-

tenlehre kann neben die Tugendlehre nicht treten. Pflicht ist, die Tu-

gend auszuüben. Es gibt keine andere Pflicht als die zur Tugend.

Die Pflicht zur Tapferkeit ist: die Ausübung der Tugend der

Tapferkeit.