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Seilschaft ausgeht, kann sie schon nicht mehr formal sein, denn der
Gesamtgeist erscheint nur in inhaltlicher Fülle, in geschichtlich be-
stimmten Kulturen. Es gibt nur geschichtlich-konkrete Kultur,
keine bloß formale.
In der Aufstellung der Gütertafel liegt das Entscheidende für die
inhaltliche Gliederung der Sittenlehre. Denn sobald die Gütertafel
aufgestellt ist, ist auch schon der Grund zur Tafel der Tugenden ge-
legt. Die Tugend entspricht dem Gut. Sie ist nicht einerlei mit ihm,
da das Arteigene der menschlichen Seele oder des betreffenden ge-
sellschaftlichen Gebildes (welches die Richtung auf das Vollkommene
einzuschlagen hat) mitbestimmend wird. Die Ausübung der Tugend
ist allerdings der Schauplatz, wo sich die Geschehnisse der Sittlich-
keit abspielen; da die Tugend jedoch auf die Einbildung des Gutes
in Mensch und Gesellschaft gerichtet ist, steht das Gut der Tugend
vor.
/
Es wurde schon in früheren Zusammenhängen begründet, daß die
Tafel der Güter nur durch Zergliederung des objektiven Geistes,
das ist der Ausgliederungsordnung der Gesellschaft, gewonnen wer-
den könne. Denn der Vollkommenheitszustand des objektiven Gei-
stes in seinen Teilinhalten und Stufen ist der Inbegriff der seins-
begründenden Güter. Daher ist die Güterlehre die Lehre von der
Vollkommenheitsordnung des objektiven Geistes, von seiner reinen
Wesensordnung.
Nun ist es nicht das Absehen dieser Abhandlung, eine ausgeführte
Sittenlehre zu geben. Unsere Aufgabe besteht in einer Grundlegung
der gesamten Gesellschaftsphilosophie, von der die Sittenlehre wohl
ein Hauptstück, aber nicht das Ganze ist. Jedoch gaben wir oben
1
bereits eine nichts Grundsätzliches übergehende Zergliederung der
A u s g l i e d e r u n g s o r d n u n g des objektiven Geistes. Darum
können wir hier ohne Umschweife wenigstens an einigen Beispielen
zeigen, welchen inneren Aufbau das Begriffsgebäude der besonderen
Sittenlehre zu nehmen hätte
2
.
1
Siehe oben S. 117 f.
2
Zur Ergänzung des Folgenden siehe die Übersicht unten S. 222 und die
Tafel über die Sinnlichkeit unten S. 228.