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Sie ist aber dennoch insoferne auch ein objektives Gut, als sie
nämlich niemals in sich selbst gänzlich bestimmt ist, sondern stets
von den jeweils höchsten geistigen Gütern das Maß empfängt,
z. B. bei asketischer Gestaltung der höchsten Güter in anderer Weise
bestimmt wird als bei deren nichtasketischer Gestaltung. Allerdings
hat die Sinnlichkeit auch ihre eigenste Grundlage, den Leib, und
Wesenheit.
Tiefster Sinn der Sinnlichkeit ist Kommunion des Menschen mit
der Natur. Darüber mehr in anderem Zusammenhang
1
. Jedoch
wird auch dieser Sinn erst vom Geistigen her erfüllt. Wesentlich
also bleibt stets:
I n w i e f e r n S i n n l i c h k e i t u n d s i n n l i c h e L u s t
e i n G u t i s t u n d i n w e l c h e r G e s t a l t , h ä n g t v o n
d e n j e w e i l s h ö h e r e n G ü t e r n ab. Darüber zu ent-
scheiden wäre nur möglich, wenn wir die ganze Lehre von den
Gütern hier entwickeln würden. Darum muß dieser Hinweis ge-
nügen.
Es ergibt sich daraus als Tugend der Sinnlichkeit: das Maß vom
Geiste her zu empfangen, das heißt die M ä ß i g k e i t , wie schon
Platon bestimmte. „Mäßigkeit“ heißt also, daß die Sinnlichkeit jene
Artung und Gestaltung anzunehmen habe, welche die Gültigkeit
und der Inhalt der jeweils höheren geistigen Güter erfordert. Maß-
gebend ist das Geistursprüngliche, in diesem zuletzt das höchste
Gut, welches wieder durch den Gottesbegriff, und den Glaubens-
inhalt, seine Wirksamkeit und Gültigkeit bestimmt ist.
Der zu erlangende Vollkommenheitszustand ist die R e i n h e i t .
Im Falle äußerster Askese und Weltfeindlichkeit — welche der echte
Idealismus und die echte Mystik ablehnen muß — bedeutet die
„Reinheit“ Verneinung fast jeder sinnlichen Lust, besonders der
geschlechtlichen, schließlich der Welt überhaupt (Pessimismus). Im
Falle aber das höchste Gut, Gott, verblaßt oder gar entfällt, wie in
der atheistisch-materialistischen Utilitätsethik, ist dagegen die höch-
ste Entwicklung der Sinnlichkeit und sinnlichen Lust der ideale
Endzustand, Maß und Reinheit fast / nur noch medizinisch be-
stimmt (Hedonismus, Utilitarismus). — Für die Sinnlichkeit ergibt
sich folgende Tafel:
1
Siehe unten S.
293
ff.
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