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chen, ist eine Narrheit
1
.“ „Wer es für Leib und Seele gleich be-
haglich haben will, wird immer auf der Schneckenpost fahren und
auf diesem Wege es nie zur Freiheit des Geistes bringen
2
.“ Mei-
ster Eckehart: „Das schnellste Roß, das euch trägt zur Vollkommen-
heit, ist Leiden.“ „Der guote ritter klaget siner wunden niht, so er
den kûnig ansieht, der mit ime verwundet ist
3
.“
Bedenkt man das Läuternde, Weckende, Aufbauende des Leidens
(neben dem Zerstörenden, das ihm freilich nicht fehlt), so erkennt
man das Irrige jeder Sittenlehre, welche nur L u s t u n d N u t z e n
zählt, des sogenannten Hedonismus und Utilitarismus; aber auch
jeder anderen Sittenlehre, welche das Leiden lediglich als „Unlust“
gelten läßt und es der „Lust“ entgegenstellt, darum einfach eine
mengenhafte Aufrechnung beider durchführen will. So S c h o -
p e n h a u e r u n d E d u a r d v o n H a r t m a n n , ferner gewisse
b u d d h i s t i s c h e Richtungen. In dieser mengenhaften Aufrech-
nung oder Bilanz finden sie, daß das Leiden, die Unlust überwiege.
Indem sie so die wahre Natur und Fruchtbarkeit des Leidens ver-
kennen, kommen sie zuletzt zu einem alles verneinenden Nihilis-
mus.
IX.
Von der Freude
Wenn Leiden läutert und weckt, daher so allverbreitet ist wie das
Unvollkommene, welches durch Läuterung zur Vollkommenheit ge-
bracht werden soll; so folgt daraus von selbst, daß jener Zustand, der
sich der Vollkommenheit annähert, selten, überaus selten sein müsse
und kostbarer als alles — die Freude! Hinter den Wolken der Nacht
des Leidens wohnt der Himmelsglanz der Freude.
Leiden enthält seinem Wesen nach, damit sprechen wir eigentlich
ein Geheimnis aus, schon den Keim eines höheren, durch Läuterung
zu erreichenden Zustandes, denn es schließt ein Schauen, eine Ein-
kehr vom nur tätigen Leben in sich; wie schwer ist es aber, diesen
Keim zu entfalten!
1
Johann Baptist Zwerger: Apis ascetica, Eine Blumenlese aus ascetischen
Werken, 2. Aufl., Graz 1900, S. 19.
2
Johann Baptist Zwerger: Apis ascetica, S. 158.
3
Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer (= Deutsche Mystiker
des 14. Jahrhunderts, Bd 2), Leipzig 1857, S. 184, Zeile 12 ff.