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Die Unterscheidung, die Aristoteles im sechsten Buche, 2

.

Kap., der „Niko-

machischen Ethik“ macht, nämlich einer „ e p i s t e m o n i s c h e n “ u n d „ l o -

g i s t i s c h e n “ V e r n u n f t

(

„τό μεν έπωτημονιχόν το δε λογιστιχόν“)

),

die

man annähernd als „theoretische“ und „praktische“ (logistisch hier = beratschla-

gend, folgernd) Vernunft zu übersetzen pflegt, hat nicht dieselbe systematische

Bedeutung wie bei Kant, da sie die Einteilung der Seelenvermögen nicht in glei-

cher Weise erschöpfen will. Aber trotzdem ist auch diese Unterscheidung nicht auf-

rechtzuerhalten. Jeder schaffenden, das Geschaute in ihrer Weise ergreifenden

Tätigkeit der Seele kommt ein „beratschlagendes“, „folgerndes“ logistisches We-

sen mit zu. Was sein s o l l , liegt schon im Geschauten, in der Eingebung.

Auf allen Gebieten also, nicht nur auf denen des Wollens und

Handelns, liegen sittliche Vorgänge, sittliche Entscheidungen. Und

sie sind grundsätzlich sogar wichtiger als jene sittlichen Entschei-

dungen, die im Wollen und Handeln fallen:

Es gibt eine Sittlichkeit, welche „Gedanken“, das heißt Einfälle,

die kommen und gehen, annimmt oder abwehrt (Unterschied des

echten und verwahrlosten Genies!);

es gibt eine Sittlichkeit des Denkens und insbesondere auch des

wissenschaftlichen Denkens, welche dem Gedanken unerschrocken

seine Folgerungen abringt oder nicht — was den Unterschied von

W a h r h a f t i g k e i t u n d V e r l o g e n h e i t begründet (dem

Irrtum, daß Denken und Wissenschaft „wertfrei“ sei, hatten wir ja

immer wieder entgegenzutreten);

es gibt eine Sittlichkeit des künstlerischen Gestaltens. Die Kunst

der Klassiker und Romantiker war auf das Vollkommene gerichtet,

die des „jungen Deutschland“ und der Moderne auf das Empirische,

also auf das Unvollkommene. Die wissenschaftlich stilisierte und

logisch auch nicht übel durchgeführte Unflätigkeit sogenannter

„Psychoanalytiker“, der ganze furchtbare Unrat der modernen

Dichtung (z. B. des Naturalismus, Impressionismus, Dadaismus, kri-

minellen Kinodramas), der Malerei (Kubismus usw.), der Tonkunst

(Atonalismus) gibt heute nur allzu deutliches Zeugnis von der Un-

sittlichkeit im wissenschaftlichen Denken und künstlerischen Ge-

stalten. Und wenn man von vielen neuzeitlichen Künstlern sagen

muß, sie seien wohl „Könner“, aber keine Künstler, von Gelehrten,

sie seien scharfe Denker, aber keine Weisen, so ist diese Redeweise

bezeichnend genug. Sie will sagen, daß die arteigene künstlerische

und logische Fähigkeit nicht fehle, daß aber die Idee, die vom Künst-