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ler gestaltet, der Gedanke, der vom Denker ausgeführt wird, kein

Vollkommenheitsgut, sondern das Gegenteil, daher unsittlich sei.

Die Sittlichkeit oder Unsittlichkeit des Denkers als Denker, des

Künstlers als Künstler, möchte die aufklärerische, mechanistisch-

atomistische Wissenschaft und Erkenntnistheorie von heute freilich

gerne leugnen; und ebenso die naturalistische Kunsttheorie. Aber

schon der einzige, offenkundige Umstand, daß eine gewisse Wis-

senschaft, z. B. Ricardismus, Marxismus, Freudismus, und eine ge-

wisse Kunst, z. B. Kubismus, Atonalismus, als V e r f a l l s e r -

s c h e i n u n g e n einer gefährdeten Kultur bezeichnet werden

müssen, widerlegt allen leeren Rationalismus solcher Art.

VII. Die sittliche Freiheit

Hiemit ist auch die Betrachtung der Willensfreiheit auf eine neue

Grundlage gestellt: In der Frage der Sittlichkeit handelt es sich

nicht ausschließlich um die Freiheit des Wollens und Handelns; ja

um diese sogar am wenigsten! Das Wollen und Handeln findet näm-

lich stets jene V o r a u s s e t z u n g e n / im Geiste schon vor, wel-

che durch Annahme, durch Denken, durch Gestalten, durch die Art

der Pflege der Sinnlichkeit jeweils geschaffen wurden und nun dem

Wollen und Handeln zugrunde liegen. Aus diesen Voraussetzungen

nur kann das Wollen und Handeln die Folgerungen, die Summe in

gewissem Grade ziehen oder nicht ziehen. Aber es kann nicht eine

völlig andere Summe ziehen, als die Summanden erlauben! Es hat

also eine a r t e i g e n e Freiheit, die, wie jede Freiheit des Eigen-

lebens, an bestimmte Voraussetzungen mehr oder weniger gebunden

ist. Wer bisher unwissend und lernfaul war, kann nicht durch eine

einzige Willensentscheidung wissend werden, noch durch eine ein-

zige Willensentscheidung zur Tüchtigkeit im Lernen und Forschen

kommen: Er muß erst langsam und stetig durch fortgesetzt neue,

andere Taten der Annahme, des Denkens, Gestaltens, des sinnlichen

Lebens sich innerlich umbilden, sich zu einem solchen, der im Ler-

nen und Forschen tüchtig wird, u m s c h a f f e n . Genauso auf

jedem anderen Gebiete. Das ist der Grund dafür, daß man in der

sittlichen Ausbildung ebensowenig ein Glied überspringen könne

wie im logischen Denken (auch nicht in der „Bekehrung“, ihrer