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Laufet, Brüder, eure Bahn,
Freudig, wie ein Held zum Siegen.
Aus der Wahrheit Feuerspiegel
Lächelt sie den Forscher an;
Zu der Tugend steilem Hügel
Leitet sie des Dulders Bahn.
Auf des Glaubens Sonnenberge
Sieht man ihre Fahnen wehn,
Durch den Riß gesprengter Särge
Sie im Chor der Engel stehn.
Die freudigsten Menschen sind, wenn sie sonst die Abgründe des
Lebens kennen, die vollkommensten. Darum zielt Michelangelos
tiefaufwühlende Kunst in seinen Propheten und Sibyllen auf höhere,
erlösende Erkenntnis (so im Jesaias), darum zielt Beethoven in den
gigantischen Kämpfen seiner erhabenen Neunten Symphonie auf
die Freude, und er erreicht sie zuletzt, gleichsam mit der über-
menschlichen Kraft eines jähen Entschlusses („Nicht diese Töne, o
Freunde, sondern andere laßt uns anstimmen“). Auch bei Bach,
Händel, Gluck (z. B. im „Reigen der seligen Geister“), bei allen
wahrhaft großen Meistern, in der Malerei vor allem bei Rafael und
den altdeutschen Malern, die auf Goldgrund malten, sehen wir die
überirdische Freude sieghaft durchbrechen.
Aber man ermesse daran die Unvergleichlichkeit M o z a r t s !
Seine Musik ringt nicht um die Freude, sie hat die Art der Freude.
Inmitten tiefsten Ernstes, inmitten der grausigsten Blicke in die
Naturverschlungenheit des Menschen, in den Abgrund menschlicher
Dämonie — so des „Don Juan“, auch des „Figaro“ — bewahrt er
die himmlische Heiterkeit, die Freude, die keiner nennt. Unberühr-
bar schwebt sie über allem.
Weil reine Freude erreichte Vollkommenheit bezeugt, widerlegt
auch Mozarts Kunst, wie alle hohe Kunst, von selbst jede f r e u d -
l o s e Sittenlehre, jede stumpfe „L u s t e t h i k“, jeden „H e -
d o n i s m u s“, nach welchem nämlich das Gute nur die Lust sein
soll, die Lust zuletzt zurückgeführt auf das Sinnliche; sie widerlegt
noch mehr jeden P e s s i m i s m u s , und jenen Nihilismus, welcher
der Lustethik zuletzt folgen muß, dies indem er fälschlicherweise —
was höchstens auf dem Gebiete der Sinnesempfindung möglich wäre
— Lust und Unlust mengenhaft gegeneinander aufrechnen will, wo-
bei die Unlust überwiegt (wie früher schon berührt). Die Freude
ist aber keine Unlust mit positiven Vorzeichen, was ja allein eine