Table of Contents Table of Contents
Previous Page  5120 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 5120 / 9133 Next Page
Page Background

244

[156/157]

Laufet, Brüder, eure Bahn,

Freudig, wie ein Held zum Siegen.

Aus der Wahrheit Feuerspiegel

Lächelt sie den Forscher an;

Zu der Tugend steilem Hügel

Leitet sie des Dulders Bahn.

Auf des Glaubens Sonnenberge

Sieht man ihre Fahnen wehn,

Durch den Riß gesprengter Särge

Sie im Chor der Engel stehn.

Die freudigsten Menschen sind, wenn sie sonst die Abgründe des

Lebens kennen, die vollkommensten. Darum zielt Michelangelos

tiefaufwühlende Kunst in seinen Propheten und Sibyllen auf höhere,

erlösende Erkenntnis (so im Jesaias), darum zielt Beethoven in den

gigantischen Kämpfen seiner erhabenen Neunten Symphonie auf

die Freude, und er erreicht sie zuletzt, gleichsam mit der über-

menschlichen Kraft eines jähen Entschlusses („Nicht diese Töne, o

Freunde, sondern andere laßt uns anstimmen“). Auch bei Bach,

Händel, Gluck (z. B. im „Reigen der seligen Geister“), bei allen

wahrhaft großen Meistern, in der Malerei vor allem bei Rafael und

den altdeutschen Malern, die auf Goldgrund malten, sehen wir die

überirdische Freude sieghaft durchbrechen.

Aber man ermesse daran die Unvergleichlichkeit M o z a r t s !

Seine Musik ringt nicht um die Freude, sie hat die Art der Freude.

Inmitten tiefsten Ernstes, inmitten der grausigsten Blicke in die

Naturverschlungenheit des Menschen, in den Abgrund menschlicher

Dämonie — so des „Don Juan“, auch des „Figaro“ — bewahrt er

die himmlische Heiterkeit, die Freude, die keiner nennt. Unberühr-

bar schwebt sie über allem.

Weil reine Freude erreichte Vollkommenheit bezeugt, widerlegt

auch Mozarts Kunst, wie alle hohe Kunst, von selbst jede f r e u d -

l o s e Sittenlehre, jede stumpfe „L u s t e t h i k“, jeden „H e -

d o n i s m u s“, nach welchem nämlich das Gute nur die Lust sein

soll, die Lust zuletzt zurückgeführt auf das Sinnliche; sie widerlegt

noch mehr jeden P e s s i m i s m u s , und jenen Nihilismus, welcher

der Lustethik zuletzt folgen muß, dies indem er fälschlicherweise —

was höchstens auf dem Gebiete der Sinnesempfindung möglich wäre

— Lust und Unlust mengenhaft gegeneinander aufrechnen will, wo-

bei die Unlust überwiegt (wie früher schon berührt). Die Freude

ist aber keine Unlust mit positiven Vorzeichen, was ja allein eine