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Wie selten erklingen darum Töne nach Art des Liedes „Freude,
schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium“ von Schiller im Leben,
in der Dichtung, sogar in der ätherischesten der Künste, der Musik.
Freude schließt alles Hohe und Höchste in sich, Liebe und innere
Erfahrung Gottes. Denn Freude ist Mitfreude, Mitfreude ist Liebe,
Liebe die Einheitserfahrung der Wesen; solche Liebe zu allen Wesen
steigert sich zum Ergreifen der Gegenwart Gottes in ihnen, sie be-
rührt das Vollkommene, Göttliche; dadurch wird sie schöpferisch.
Das alles verkündet Schiller in seinem Gedichte, das in der Welt-
literatur einzig dasteht:
Seid umschlungen Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt
Und von selber bricht daraus der Jubelruf hervor:
Brüder — überm Sternenzelt
Muß ein lieber Vater wohnen.
Vertrauen wir uns Schillers Dichtung an, so finden wir alle
Begriffselemente der Freude lebendig entwickelt und erfahren ganz,
was Freude sei. Freude hebt die Liebe auf den Gipfel menschlichen
Vermögens, zur Kraft der Vergebung, sie hebt den Menschen auf
wahrhaft göttliche Höhe:
Göttern kann man nicht vergelten,
Schön ists, ihnen gleich zu sein.
Gram und Armut soll sich melden,
Mit den Frohen sich erfreun.
Groll und Rache sei vergessen,
Unserm Todfeind sei verziehn;
Keine Träne soll ihn pressen,
Keine Reue nage ihn.
Schiller entdeckt auch das Schöpferische der Freude. Er feiert sie
als das Ziel aller Wesen, der Natur sowohl als des Geistes;
der Natur:
Freude heißt die starke Feder
In der ewigen Natur...
Blumen lockt sie aus den Keimen,
Sonnen aus dem Firmament...;
des Geistes:
Froh, wie seine Sonnen fliegen
Durch des Himmels prächt’gen Plan,