[156/157]
245
„Bilanz“ beider möglich machte, sondern B o t e a u s e i n e r
h ö h e r e n W e l t , ein Metaphysikum!
An dem Verkennen der Fruchtbarkeit des Leidens und der über-
sinnlichen Art hoher Freude, ermesse man auch die Äußerlichkeit,
ja Oberflächlichkeit jedes Pessimismus vom Schlage eines Schopen-
hauer und Hartmann.
Schiller, Mozart, Goethe, Eichendorff (man denke an den „Tauge-
nichts“), die alten Griechen und, man darf es sagen, die hohen
Künstler aller Zeiten, lehren uns übereinstimmend, was Entzücken,
Glückseligkeit, Freude sei; gleichwie auch alle großen Metaphysiker,
Ekstatiker, Mystiker taten. Ihre Freude bezeugt die Erhebung über
die Welt, in ihr blitzt das Überirdische auf, an dem wir teilhaben,
das Vollkommene.
Ergebnis
Der wahre Begriff des Leidens und der wahre Begriff der Freude
oder Glückseligkeit, beide zeigen an, daß das Gute im Transzenden-
ten wurzle. Indem Leiden läutert, dadurch den Keim des Voll-
kommenen in sich trägt, Freude das Vollkommene, Übersinnliche
berührt, sind beide über sinnliche Empfindung von Lust und Unlust
oder deren Derivate, erhoben und weisen auf ein Über-Dir der
Gemeinschaft sowohl — Mit-Leid, Mit-Freude — wie auf ein Uber-
Dir der Welt und des Geistes, Gott, hin.
Was uralte Weisheit von jeher verkündete, ergab sich von den
völlig anderen Annahmen unserer gesellschaftsphilosophischen Ana-
lysis her ebenfalls wieder. Schon in den altindischen Upanishaden
lesen wir, das Gute sei seinem Wesen nach Versenkung (tapas), Er-
fahrung einer höheren Welt
1
; und Platon sprach dasselbe in den
berühmten Worten aus, „man müsse von hier dorthin entfliehen“,
dieses „dort“, das Gute, aber sei die Verähnlichung des Menschen
mit Gott
2
.
1
Mahâ-Nârâyanda-Upanishad 8, 1; dazu: Paul Deussen: Sechzig Upanishad’s
des Veda aus dem Sanskrit übersetzt, 3. Aufl., Leipzig 1921, S. 246.
2
Platon: Theaitetos, oder vom Wissen, übersetzt von Friedrich Schleier-
macher, neu herausgegeben von Curt Woyte (= Reclams Universalbibliothek,
Bd 6338—39), Leipzig 1922, 176, b.