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reiche, dem Mundus intelligibilis angehört. Diese Erweiterung ist

sozialphilosophisch von größter Bedeutung, weil damit auch dem

Einzelmenschen (Individuum) ein metaphysischer Rang zuerkannt

wird, der den Kollektivismus und Pansoziologismus von den be-

grifflichen Grundlagen her ausschließt.

Das bedeutet für den Bereich der Gesellschaftswissenschaften, daß

keine der empirischen überindividuellen Ganzheiten (Stufen der

Gesellschaft) total oder absolut sein kann. Auch der Einzelmensch

ist eine Ganzheit, ein Universale. Der Vorrang der überindividuel-

len Ganzheiten (wie zum Beispiel des Staates) findet ein Maß und

eine Grenze an der metaphysischen Begründung der Gesellschaft.

Die Gesellschaft wurzelt ebenso wie der Einzelmensch im Ideen-

reiche, über dem Gott steht.

Die noch immer herrschende individualistische Soziologie kann

überindividuelle Wesenheiten nicht als real begreifen. Soweit sie

überhaupt überindividuelle Wesenheiten als wirklich anerkennt, kann

sie diese nur als Häufung, Ansammlung von Individuen sehen. Diese

Ansammlungen sind aber in keiner Weise metaphysisch begründet

und kontrolliert. Gerade darum ruft der Individualismus die Gefahr

des Kollektivismus hervor, demgegenüber er dann wehrlos ist.

Der Universalismus geht vom Unum, von Gott aus. Für Platon

ist Gott das Maß aller Dinge, während für den Individualismus

der Mensch im Sinne der bekannten Formulierung des Protagoras

das Maß aller Dinge ist. Für den mittelalterlichen Universalismus gilt

der Satz: Coniunctio hominum cum Deo est Coniunctio hominum

inter sese. Auch in der Philosophie des deutschen Idealismus wird

diese Position gehalten. Fichte sagt: „Jener geliebte Gegenstand des

wahrhaften Lebens ist dasjenige, was wir mit der Benennung Gott

meinen, oder wenigstens meinen sollten ... Das wahrhafte Leben

lebet also in Gott und liebet Gott, das nur scheinbare Leben lebet

in der Welt, und versucht es, die Welt zu lieben

1

.“ Hegel schreibt:

„Die Philosophie hat ihren Gegenstand zunächst mit der Religion

gemeinschaftlich. Beide haben die Wahrheit zu ihrem Gegenstande,

und zwar im höchsten Sinne — in dem, daß Gott die Wahrheit und

er allein die Wahrheit ist

2

.“ — „Die Religion ist der Ort, wo ein

1

Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, Erste Vorle-

sung (= Philosophische Bibliothek, Bd 131), Neudruck Leipzig 1921.

2

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wis-