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„Die Ideenwelt wirkt nicht wie eine Summe atomistischer Einzel-
ideen auf die Menschen als Einzelne; sondern sie wirkt als Einheit,
als Reich, als Gesamtganzes auf die Einheit der Menschen — auf die
Gemeinschaft. E r s t d u r c h d i e G e m e i n s c h a f t h i n -
d u r c h w i r k t s i e a u f d i e E i n z e l n e n , sie wirkt auf sie
als die G l i e d e r der Gemeinschaft. Mit diesem Gedankengange
ist der entscheidende Schritt getan. Das Ideenreich wird zu einem
gesellschaftlichen Über-Dir, zum G e s a m t g e i s t e d e r G e -
s e l l s c h a f t oder, wie Hegel sagt, zum o b j e k t i v e n G e i -
s t e
1
.“
So wird das Ideenreich zum Inhalte der gesellschaftlichen Kultur
und zum Gesetze für das politische und geschichtliche Handeln.
Das metaphysisch begründete Sittengesetz wird zur Sitte. Der ob-
jektive Geist ist gewiß auch ein Hilfsmittel, ein Subsidium für den
subjektiven Geist, aber sein Wesen erschöpft sich nicht in dieser
Subsidiarität. Jede Gesellschaftsphilosophie, die das wieder modern
gewordene und an sich und in seinen Grenzen durchaus richtige
Subsidiaritätsprinzip so auslegt, daß die Gesellschaft nur Hilfs-
mittel und n i c h t s a n d e r e s sei, verfällt in Utilitarismus, den
man dem Empirismus und Individualismus überlassen soll, wohin er
von Rechts wegen gehört.
Der objektive Geist ist das Reich der Ideen, soweit es im Bewußt-
sein der Menschheit wirksam und in der Geschichte wirklich ist.
Diese Wirklichkeit des objektiven Geistes als Wirklichkeit und
Einheit des überindividuellen Seinsbereiches gliedert sich in die
Tiefe und in die Breite, wie ein vom Himmel herabwachsender
Baum, den Othmar Spann gern mit der Weltesche vergleicht. Die
Grundsätze dieser Gliederung und die Vorrangverhältnisse lehrt
die Gesellschaftsphilosophie, die ausführliche Darstellung dieser
Gliederung und der einzelnen Glieder leistet die Gesellschaftslehre.
C.
I n w i e f e r n i s t d e r o b j e k t i v e G e i s t w i r k l i c h ?
Das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft wird durch-
aus ontologisch gesehen. Othmar Spann greift damit das große und
in der modernen Soziologie fast vergessene Thema der Geistes-
1
Siehe oben S. 111 f.