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Volk sich die Definition dessen gibt, was es für wahr häl t. .. Die
Vorstellung von Gott macht somit die allgemeine Grundlage eines
Volkes aus. .. Freiheit kann nur da sein, wo die Individualität als
positiv im göttlichen Wesen gewußt wird
1
.“ Und schließlich Franz
von Baader: „Das ganze Reich Gottes hat keinen anderen Sinn, als
die Menschen in eine wahrhaft organische Innung zu bringen, und
zwar, weil nur in dieser lebendigen Gemeinschaft Gott alles in
allem geworden ist als der eine und derselbe Lebensgeist, der sich in
jedem auf einzige Weise manifestiert. Und deshalb bedarf jeder
aller anderen, um die Totalität der Manifestation Gottes zu bewerk-
stelligen. Jeder ist unentbehrlich, denn jeder hat eine andere Auf-
gabe. Auf diesem Geheimnis der Manifestation Gottes beruht die
Conjunctio in solidum der Menschheit
2
.“
Diese und ähnliche Zitate aus der großen philosophischen Tradi-
tion, auf die sich Othmar Spann immer wieder beruft, sollten alle
Mißverständnisse beseitigen, wenn nur allseits der aufrichtige Wille
dazu bestünde. Dem auffälligen Beharren der meisten modernen
Autoren in diesem Mißverständnisse entspricht eine ebenso auf-
fällige Nachsicht gegenüber dem wahren Kollektivismus.
Für jede universalistische Philosophie ist auf Grund des Aus-
ganges von Gott vor die empirische Gesellschaft eine intelligible
Welt, das Ideenreich gesetzt. Othmar Spann bekennt sich zu dieser
Tradition und schließt sich eng an die Platonische Lehre vom Ideen-
reiche an, auch in der Darstellung des Verhältnisses der Ideen zu
Gott: „Die Ideen sind ... nicht das Letzte. Höher steht Gott, der
jenseits der Ideen, der ihr Schöpfer ist
3
.“
Mit der Platonischen Ideenlehre des objektiven Idealismus, zu
der sich auch Augustinus, der mittelalterliche Universalismus, Leib-
niz, Kant und andere bekennen, beginnt die große philosophische
Tradition.
Leibniz sagt: „Jeder Geist ist in seinem Bereiche eine kleine
senschaften im Grundrisse, in zweiter Auflage neu herausgegeben von Georg
Lasson (= Philosophische Bibliothek, Bd 33), Leipzig 1920, Einleitung, § 1.
1
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte, mit einer
Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Friedrich Brunstäd (= Reclams
Universalbibliothek, Bd 4881—4885), Leipzig 1907, S. 101 f.
2
Franz von Baaders Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, herausgegeben
von Johannes Sauter (= Die Herdflamme, Bd 14), Jena 1925, VIII, S. 73 f.
3
Othmar Spann: Der Schöpfungsgang des Geistes, Jena 1928, S. 451.