372
[429/430]
in der Vermittelbarung zugleich das Unmittelbare zu bewahren.
Dieses ihr Wesen gibt der gesamten Geschichte das Gepräge
1
.
Dann aber geht die allgemeinste Lenkung, geht das o b e r s t e
G e s e t z d e r G e s c h i c h t e im Gange aller jener Vermittel-
barungen zugleich von derjenigen Triebkraft aus, welche aus dem
Verhältnis des Menschen zur übersinnlichen Welt hervorgeht: der
Religion und Philosophie. Religionsgeschichte und Philosophie-
geschichte sind das Herzstück der Weltgeschichte. Wir sind auf die-
ses Verhältnis schon wiederholt gestoßen, aber erst hier zeigt es
sich in seiner ganzen Allgemeinheit. Auch Schelling, Hegel, Baader
haben in ihrer Geschichtsphilosophie das Religiös-Metaphysische als
den Kern der Geschichte enthüllt. Unser Ergebnis trifft ferner auch
mit den wiederholt entwickelten Vor- / rangsätzen der Gelellschafts-
lehre und Pneumatologie zusammen, nach welchen das Religiöse
und Metaphysische den Vorrang vor allen anderen Inhalten des
objektiven und subjektiven Geistes hat
2
.
Auf den höheren geistigen Urzustand als den Anfang des Men-
schen; und ferner auf die bestimmende Bedeutung der mit der Ver-
mittelbarung des menschlichen Zustandes gegebenen Veränderung
des menschlichen Verhältnisses zum Übersinnlichen deutet alles Ur-
sprüngliche in den geschichtlichen Kulturinhalten hin, das heißt
alles, was nicht durch Ansammlung und Häufung von unten hinauf
erlangt werden kann. Staaten können wachsen, Bevölkerungszahl,
Wirtschaftsmittel können rein mengenmäßig zunehmen, aber das
Geistursprüngliche kann nicht durch mengenmäßiges Anwachsen
entstehen. Außer der Sprache haben wir an solchen echten Kultur-
gebilden, die auf den inneren Menschen zurückweisen: zuerst die
Religion im weitesten Sinne (mit Magie und Mystik aller Art als
Überbleibsel aus höheren Zuständen) sowie die metaphysische Phi-
losophie; zweitens das Denken und Gestalten, Wissenschaft und
Kunst; drittens alle jene Lebensordnungen, welche in Kirche, Staat,
Recht, Sippe, Erziehung das Sittliche und Geistige erzeugen und
1
Vgl. oben S. 361 f.
2
Metaphysik ist ein Denken, ein Erschließen des Absoluten. Religion da-
gegen ist das persönliche Verhältnis zu einem persönlichen Höheren (oder Abso-
luten), in welcher Weise immer gedacht. — Freilich führt auch das Denken zum
erlebten und persönlichen Verhältnis oder gründet darauf; so daß ein scharfer,
unbedingter Unterschied zwischen Religion und Metaphysik nicht besteht.