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lismus wäre die Folge. — Leider entwickelte Leibniz, der als Diplomat und Mathe-
matiker seine unvergleichliche Kraft zersplitterte, seine Lehren nicht systematisch,
sondern mehr andeutungsweise, meist nur in Briefen und Abhandlungen.
Leibnizens große Gedanken wirkten trotzdem nachhaltig. Seit ihm, so darf
man sagen, wurde die idealistische Philosophie in Deutschland heimisch. K a n t
wäre ohne seine Erkenntnistheorie nicht möglich, auch F i c h t e s Gedanke, daß
alles Seelische die Selbsttat des Ich sei, kann man in gewissem Sinne als Weiter-
entwicklung seiner Ansichten auffassen.
Als dogmatisierender, eklektischer F o r t b i l d n e r Leibnizens trat C h r i -
s t i a n W o l f f auf (1679—1754). — Später vertraten je in ihrer Weise die Mo-
nadenlehre: J o h a n n F r i e d r i c h H e r b a r t
1
; B e r n h a r d B o l z a n o
(1791—1848, Mathematiker und Logiker, später durch F r a n z B r e n t a n o ,
A l e x i u s v o n M e i n o n g , E d m u n d H u s s e r l wiedererweckt); H e r -
m a n n L o t z e
2
; I m m a n u e l H e r m a n n F i c h t e
3
; G u s t a v T e i c h -
m ü l l e r
4
3.
I m m a n u e l K a n t (1724—1804)
5
a. Die Grundgedanken
6
Man kann die Lehre Kantens wohl am einfachsten verständlich
machen, wenn man sie als die Ausführung des soeben angeführten
Leibnizischen Satzes „nisi intellectus ipse“ betrachtet. Denselben
Kampf, den Sokrates gegen die Sophisten, den Leibniz gegen
Locke / kämpfte, führte Kant nochmals gegen D a v i d H u m e .
Kant begründete in diesem Kampfe bis ins Einzelnste, was das
„Außer dem Verstande selbst“ in sich schließt, nämlich den Inbe-
griff ursprünglicher Denkformen oder „Kategorien“ des Verstandes,
sowie ursprünglicher Anschauungsformen oder Kategorien der Sinn-
lichkeit.
1
Siehe unten S. 97.
2
Siehe unten S. 97.
3
Immanuel Hermann Fichte: Anthropologie, 3. Aufl., Leipzig 1876.
4
Gustav Teichmüller: Religionsphilosophie, Breslau 1886. —Weiteres über
Leibniz siehe unten S. 119, 120, 143 und öfter.
5
Das Studium Kantens beginne man nicht mit der schwierigen Kritik der rei-
nen Vernunft (1781), nach der 1. und 2. Originalausgabe, neu herausgegeben von
Raymund Schmidt, Leipzig 1926 (= Philosophische Bibliothek, Bd 37 d),
sondern mit: Prolegomena (1783), herausgegeben von Johann Eduard Erdmann,
Leipzig 1890 (= Reclams Universalbibliothek, Bd 2469—70); Grundlegung zur
Metaphysik der Sitten (1785), Leipzig 1904 (= Reclams Universalbibliothek,
Bd 4507), auf welche die drei „Kritiken“ erst folgen sollen. Die genialste ist die
Kritik der Urteilskraft (1790).
6
B e m e r k u n g e n ü b e r d i e A u s d r ü c k e „ V e r s t a n d “ u n d
„ V e r n u n f t “ b e i K a n t . Im Vergleiche mit dem Sprachgebrauch in der