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ziehen, welche die Erfahrung als geschlossenes Ganzes, als Einheit

behandeln, dabei aber in Wahrheit über sie hinausgehen. Als sol-

ches Vermögen erzeugt die Vernunft „ I d e e n“ oder unbedingte

Einheitsbegriffe. Ihre Gegenstände können daher in keiner Erfah-

rung gegeben sein

1

. Die drei Grundideen: des W e l t g a n z e n ,

der unsterblichen S e e l e oder des absoluten Subjektes und G o t -

t e s geben daher keine Wirklichkeitserkenntnis. Sie sind nicht

„k o n s t i t u t i v“, wie Kant sagt, sondern nur „r e g u 1 a t i v“,

das heißt sie sind nur „Ideale“ der Einheit für die empirische Er-

kenntnis. Gott, Freiheit, Unsterblichkeit sind darum nach Kant

nicht beweisbar.

γ. Sittenlehre, Kunstlehre, Gesellschaftslehre

Außer dem Apriori des Erkennens gibt es nach Kant auch ein

Apriori der Sittlichkeit, welches die „praktische Vernunft“ zu rei-

ner Selbstbestimmung („Autonomie“) erhebt. Ebenso gibt es ein

Apriori der „Urteilskraft“, das heißt der richtenden subsummie-

renden Vernunft, nämlich Schönheit und Zweck

2

.

Ein Apriori der Gesellschaft kennt Kant nicht, da er die Gesell-

schaft, das Recht, den Staat nach Art der aufklärerischen Philoso-

phie seiner Zeit als eine bloße Summierung Einzelner auffaßt. Seine

Gesellschaftslehre ist individualistisch.

Den Grundgedanken der Kantischen Lehre dürfen wir, ohne zu-

viel zu sagen, in folgenden Worten zusammenfassen: Indem wir in

die Form unseres Denkens eindringen, indem wir in die Form un-

seres Willens eindringen, indem wir in die Form unseres zweck-

haften und / künstlerischen Urteils eindringen, mit einem Worte,

i n d e m w i r i n d a s A p r i o r i u n s e r e s G e i s t e s

e i n d r i n g e n , d r i n g e n w i r i n e i n e v o r a l l e r

E r f a h r u n g g e g e b e n e W e l t e i n — i n d i e i n t e l -

l i g i b l e , ü b e r s i n n l i c h e W e l t . Verkappte Empiristen,

die sich Neukantianer nennen, wollen das freilich nicht wahr haben,

1

Immanuel Kant: Prolegomena, herausgegeben von Johann Eduard Erd-

mann, Leipzig 1890, § 40 und öfter (= Reclams Universalbibliothek, Bd 2469

bis 2470).

2

Siehe unten S. 95 f.