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an den Urteilen nicht aus der Erfahrung stammen kann (weil alles
bloß Empirische wechselt); so folgt: daß alles Notwendige an den
Urteilen (Synthesen) aus unserem Verstande stamme, mithin etwas
A p r i o r i s c h e s sei. Demnach besteht alles Apriori in nichts
anderem als / in Verknüpfungsweisen oder synthetischen F o r m e n
des sinnlichen Anschauens und des Denkens. Sie sind als ein Vor-
empirisches, ein Ursprüngliches unserer Erkenntnis der I n h a l t
unserer sinnlichen Erfahrung ist dagegen ein Empirisches oder wie
Kant sagt, ein „A p o s t e r i o r i“. Die synthetischen Grundfor-
men des Denkens nennt Kant „Kategorien“ oder „Stammbegriffe
des Verstandes“, das ist grundsätzliche Denkbestimmungen, Denk-
formen (zum Beispiel Ursache und Wirkung, Substanz); jene des
Sinnlichen nennt er Anschauungsformen, und zwar sind diese
R a u m u n d Z e i t . Die sinnlichen Qualitäten (Klang, Farbe)
sind aposteriorisch.
Wir erläutern den entscheidenden Punkt der Kantischen Lehre, das Apriori,
zunächst an einigen Beispielen:
(1)
Kategorie der U r s ä c h l i c h k e i t . Die Erfahrung zeigt uns nur ein
Nacheinander von Ereignissen und ein Nebeneinander von Erscheinungen (Ko-
existenz und Sukzession). Die Erfahrung als solche, so sagt Kant mit Hume, sagt
uns nicht, daß „weil etwas ist, etwas anderes ist“. In dem Inbegriffe sinnlicher
Eindrücke, so können wir es auch ausdrücken, liegt es nicht, daß das vorherige
Ereignis für das nachherige R e a l g r u n d sei, daß es also das nachherige „be-
wirke“; es liegt darin auch nicht, daß das nachherige Ereignis mit Notwendig-
keit und Regelmäßigkeit auf das vorherige folge — das alles liegt nicht in der
reinen Erfahrung. Aber statt mit Hume zu folgern, daß nur die „Gewohnheit“ uns
zur Annahme ursächlicher Zusammenhänge zwischen den Erscheinungen ver-
anlasse, folgert Kant: Wir selbst sind es, welche die Form der Ursächlichkeit als
eines wesenhaften Ordnungszusammenhanges der Erscheinungen zum reinen
Stoffe der Sinneseindrücke gleichsam hinzubringen. Die Ursächlichkeit ist die
D e n k f o r m unseres Verstandes, ist das, was logisch vor aller Erfahrung
ist und, den Stoff der Erfahrung aufbauend, diese erst zu einer gestalteten
Einheit macht, also eine K a t e g o r i e .
(2)
Apriorische A n s c h a u u n g s f o r m „Zeit“. Nach Kant ist der Satz
7 + 5 = 12
kein analytisches Urteil, weil in dem Subjekt (7 + 5) das Prädikat
(12)
nicht enthalten sei: „Daß 7 + 5 =
12
sei, ist kein analytischer Satz. Denn ich
denke weder in der Vorstellung von 7, noch von 5, noch in der Vorstellung von
der Zusammensetzung beider die Zahl
12.“
1
„Man erweitert also wirklich seine
Begriffe durch diesen Satz 7 + 5 =
12
und tut zu dem ersteren Begriff einen
1
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, nach der 1. und 2. Original-
ausgabe neu herausgegeben von Raymund Schmidt, Leipzig 1926, S. 205 (= Philo-
sophische Bibliothek, Bd 37 d).