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Eine ähnliche Schwierigkeit bietet Kants Begriff der A u t o n o m i e d e s

W i l l e n s . Richtig ist dieser Begriff, soweit er nichts anderes als Willensfreiheit

bedeutet. Soweit er aber darüber hinausgeht und eine Selbstgesetzgebung durch die

Vernunft des Einzelnen ausspricht, ist er unhaltbar. Denn einer solchen Autono-

mie steht schon der metaphysische Grund des Ich, dessen Befaßtheit im Transzen-

denten, entgegen (durch den sich die Autonomie schließlich in Theonomie ver-

wandelt)

1

; ferner der Umstand, daß das Ich nur in Gemeinschaft wird, so daß

die geistig freie Tat des Einzelnen in Wahrheit durch die objektive geistige Ord-

nung der Gemeinschaft hindurchgeht. Die Autonomie wird also überhöht sowohl

durch die übersubjektiven Wesenserfordernisse der Gemeinschaftsordnungen wie

durch den transzendenten Hintergrund des subjektiven Geistes, Gott.

Nicht ganz einfach steht es dagegen mit dem bekannten Einwande, daß

P f l i c h t u n d N e i g u n g , welche Kant trennt, nicht getrennt sein dürften,

dem Schiller klassischen Ausdruck verlieh:

„Gerne dien ich dem Freunde, doch tu ich es leider mit Neigung,

Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin.

Da ist kein anderer Rat! Du mußt suchen, ihn zu verachten

Und mit Abscheu alsdann tun, wie die Pflicht Dir gebeut.“

In ähnlichem Sinne wie Kant äußert sich übrigens schon die altindische Bha-

gavadgita. „Darum betreibe allzeit die obliegende Pflicht ohne Anhänglichkeit,

denn wer ohne Anhänglichkeit seine Pflicht erfüllt, der Mann erlangt das Höch-

ste.“

2

Am Kantischen Standpunkte ist jedenfalls soviel richtig, daß die Pflicht keine

wäre, folgte sie aus der Lust. Muß aber darum die Lust ausgeschlossen bleiben? —

Hier stoßen wir unseres Erachtens auf einen Mangel des Kantischen Pflichtbegrif-

fes. Für Kant ist die Pflicht, das ist das sittliche Gesetz, schlechthin der ursprüng-

liche Begriff der Sittenlehre. In Wahrheit ist die Pflicht aber abgeleitet: von der

vollkommenen Gestaltung des menschlichen Lebens. Erst daraus nämlich, daß

die A u s g l i e d e r u n g s e r f o r d e r n i s s e d e r G a n z h e i t , des Sub-

jektes sowohl wie der Gemeinschaft (also der objektiven Ordnungen, in denen

der Einzelne lebt), nicht erreicht wird, folgt die Forderung, ihr nachzustreben:

die Pflicht, das sittliche und schließlich rechtliche Gesetz. Diese Wesensvollkom-

menheit oder, anders genannt, das s i t t l i c h e G u t , ist demnach in Wahrheit

das begriffliche Erste, Ursprüngliche der Sittenlehre

3

. P f l i c h t u n d T u g e n d

e m p f a n g e n i h r e W e i h e e r s t d u r c h d a s V o l l k o m m e n -

h e i t s g u t , d e m s i e d i e n e n .

Lust und Neigung sind neben der Vernunft mit die Grundlagen zu ihrer

Verwirklichung.

Eben darum führt Kantens Pflichtbegriff auch zu dem von Schiller gerügten,

fühllosen „ R i g o r i s m u s“, wie man die grundsätzliche Trennung / von Pflicht

und Neigung nannte. Ist das Erste nämlich der Vollkommenheitszustand oder das

1

Vgl. mein Buch: Erkenne dich selbst, Jena 1935, 2., durchgesehene Aufl.,

Graz 1968, S. 27 f., 29 f., 230 ff., 297 ff., 324 ff., 330 ff., 333 f., 339 f., 355 f. (= Ge-

samtausgabe Othmar Spann, Bd 14).

2

Bhagavadgita, III, 19, nach Paul Deussen: Sechzig Upanishad’s des Veda,

3. Aufl., Leipzig 1921.

3

Vgl. mein Buch: Gesellschaftsphilosophie, München und Berlin 1928, 2.,

durchgesehene Aufl., Graz 1968, S. 187 ff. und 201 ff. (= Gesamtausgabe Othmar

Spann, Bd 11).