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der Kantischen Prüfung, daß wir nämlich das Ansich der Dinge nicht erkennen

könnten, sondern nur ein subjektives Erscheinungsbild vor uns hätten, nicht aus

der Erkenntnislehre (nicht vom Erkennen des Erkennens). Denn die Trennung

von Ansich und Erscheinung ist überhaupt kein erkenntnistheoretischer Gedanke

mehr, sondern schon ein ontologischer. Es liegt am Tage, daß Kant n i c h t

durch Ermittlung apriorischer Erkenntnisformen zur Unterscheidung von Er-

scheinung und Ansich der Dinge gelangt, sondern durch die Behauptung, das

Erkenntnisbild, welches unsere Erkenntnismittel ergeben, sei grundsätzlich anders

als das Ansich der Dinge — und eben d i e s e B e h a u p t u n g i s t e i n e o n -

t o l o g i s c h e , k e i n e e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e . Woher weiß Kant,

daß Erkenntnismittel und Gegenstand einander widersprechen? Nur durch eine Be-

hauptung über das Wesen des wahrhaften Seins! Die Erkenntnistheorie kann ein

solches Ergebnis nie begründen. Eine Prüfung der Erkenntnis kann durch Erken-

nen der Erkenntnis nur insoferne stattfinden, als eine Prüfung der Ergebnisse des

Erkennens — am Sein, am übersinnlichen Sein, am Ansichseienden eintritt.

c.

Allgemeinheit und Notwendigkeit

Der grundsätzlichste Hinweis, den Kant zur Begründung des

Apriori gab, ist, wie bekannt, die Unterscheidung allgemeingültiger,

denknotwendiger Wahrheiten neben wechselnden empirischen. Die-

se schon von Leibniz getroffene Einteilung ist richtig. Richtig ist

auch, daraus auf ein subjektives Apriori zu schließen. Aber dieser

Schluß ist nur ein Mindestmaß, er ist nicht erschöpfend. Die Frage

des objektiven Apriori, die ontologische Frage, bleibt noch offen,

wie soeben gezeigt

1

.

Aus dem Bisherigen ergibt sich als die entscheidende Frage, ob die apriorischen

Verstandesbestimmungen auch in den vorgestellten Gegenständen selbst gegen-

wärtig sind, zu bejahen sei. Einheit in der Vielheit, Substanz und Akzidens, Zu-

sammengehörigkeit von Grund und Folge, kann nicht nur in unserem Denken sein.

In den D i n g e n m ü s s e n s e l b s t V e r s t a n d e s b e s t i m m u n g e n

s e i n , s o n s t k ö n n t e n w i r s i e n i c h t a u s i h n e n h e r a u s l e -

s e n — und in diesem mittelbaren Sinne ist also auch das Gegenständliche selbst

apriori

2

. Die Kategorien unseres Denkens sind nur darum allgemein und not-

wendig, weil sie auch den Grundbestimmungen des Wesens der Dinge entspre-

chen. D a r u m i s t d a s s u b j e k t i v e A p r i o r i n u r g ü l t i g , w e i l /

e s z u g l e i c h o b j e k t i v i s t . Was Kant nur in der „transzendentalen

Synthesis der Apperzeption“ des Subjekts vor sich gehen läßt, hat in Wahrheit

auch objektive Entsprechung.

Diese Wendung vom Subjektivismus zum Objektivismus kann allerdings nicht

durch bloße Behauptungen vollzogen, sie muß im Gesamtaufbau der Lehrbegriffe

begründet werden. Kant vermochte diesen Schritt noch nicht zu tun, er blieb

Fichte und Schelling Vorbehalten.

1

Siehe auch oben S. 81 ff.

2

Siehe oben S. 84.