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eingerissenen Empirismus ist er die wirksamste Waffe, zur dauern-
den Ausbildung einer Philosophie muß er über sich selbst hinaus-
gehen. Darum sehen wir, wie auf Sokrates neben neuen Sophisten-
schulen Platon und Aristoteles, so auf Kant neben neuen Empiri-
sten: Fichte, Schelling, Hegel und Baader folgen.
Alle diese Einwände können aber Kantens gewaltiges V e r -
d i e n s t u n d g e s c h i c h t l i c h e S t e l l u n g nicht schmä-
lern. Kant schlug die große / Durchbruchsschlacht, die geradezu
eine Kulturwende des Abendlandes einleitete, indem er dem Empi-
rismus, der Philosophie der Plattheit, den Idealismus, eine Philoso-
phie der sittlichen und verständigen Selbstgewißheit entgegensetzte,
das Apriori wieder eroberte und bewies, daß ohne dasselbe weder
Erkennen noch Wollen möglich sei. Kants titanische Tat war, um es
mit einem Worte zu sagen, seiner Zeit wieder einen Weg zu den für
die innere Freudigkeit unentbehrlichen Wahrheiten, den metaphy-
sischen Wahrheiten von Gott, Freiheit, Unsterblichkeit zu zeigen.
Ein solcher Kampf ist weniger zeitgebunden als es scheint. Kant
focht nicht nur einen Kampf gegen Locke, Hume und die Aufklä-
rung aus, sondern gegen einen Feind, der nie stirbt. Und stets wenn
er vordringt, wird es die Kantische Philosophie sein, die ihn zu be-
siegen fähig ist. Gerade das hat sich ja schon geschichtlich bewährt.
Als 1830 der Empirismus, Positivismus, Materialismus den Idealis-
mus stürzte, war es sogleich der Ruf „Zurück zu Kant“, welcher die
Gegenbewegung einleitete. Leider artete diese Gegenbewegung zum
Teil wieder in verkappten Empirismus aus
1
.
Die geschichtliche Stellung Kantens beruht demnach darauf, daß
er den Kampf gegen den Empirismus in einer solchen Weise zu füh-
ren wußte, wie er jederzeit wirksam sein wird! Auch liegt es gerade
in dem V e r m i t t e l n d e n seiner Philosophie, daß sie die
Grundlage für Weiterbildungen verschiedenster Art werden konnte.
Die großen systematischen Leistungen Kantens, die dann für
Fichtes, Schellings, Hegels Bewußtseins- und Geisteslehre als Grund-
lage dienten, traten bereits ans Licht. Als die größte möchte ich
neben dem A p r i o r i b e g r i f f bezeichnen: die Lehre von dem
intelligiblen, nicht der Sinnenwelt angehörenden Wesen der F r e i -
h e i t . Darauf führt das Apriori hin, denn schon dieses hat, bei
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Siehe oben S. 96 ff.