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zur Vielheit herunter. Das „Radikalvermögen“, die „Spontaneität“,
die er „S e 1 b s t s e t z u n g“ nannte, war ihm das Erste, war ihm
der Quellgrund des Bewußtseins, des Ichs selbst. Der denkwürdige
Satz, womit er die neue Entfaltung des Idealismus einleitete, und
der nie mehr aus der Geschichte der Philosophie verschwinden
wird, lautete: „Das Ich setzt sich selbst.“
B .
Das G r u n d e r l e b n i s d e r S e t z u n g s l e h r e
„Ihr habt in eurem Leben nicht g e w u ß t und wißt daher
gar nicht, wie einem zumute ist, der da weiß.“
(Fichte: „Sonnenklarer Bericht“, 1801)
Die Setzungsphilosophie Fichtes, diese wahrhaft tiefblickende
Lehre, ist heute so gut wie verschüttet und wird nicht verstanden.
Sie ist dem neuzeitlichen Denken auch schwer zugänglich zu machen,
erfordert daher eine gründliche Behandlung. Wem die Setzungs-
lehre Fichtes nicht zur vertrauten Wahrheit wurde, der, das müssen
wir vorweg erklären, ist in das innere Tor der Philosophie noch nicht
eingegangen.
Wer die „Selbstsetzung“ verstehen will, darf sich nicht mit Be-
griffen begnügen, er muß auf das Grunderlebnis zurückgehen, das
Fichten selbst leitete. Er muß in sich selbst hinablauschen, sich gleich-
sam selbst am Werke ertappen, am Werke des Geistes.
Die innere Erfahrung, auf welche der Idealismus Fichtes zurück-
geht, ist jedermanns Besitz und doch nicht leicht zu fassen. Hatte der
Apriorismus die innere Selbstgewißheit des Geistig-Sittlichen im
Menschen zur Grundlage; so geht der Fichtische Idealismus noch
auf eine tiefere Schichte zurück. Das, worauf diese Besinnung stößt
und wessen sie unmittelbar inne wird, ist: daß alles in unserem gei-
stig-seelischen Leben zuletzt auf eigener Tat, auf Selbständigkeit
beruhe, und daß ohne diese inneres Leben nicht möglich sei.
Wie das erklären? Hier einige Hinweise.
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Kant erfaßt in sicherer Eingebung das Apriorische, Fichte, so kön-
nen wir sagen, das Schöpferische des Geistes. Während der Aprioris-
mus bei der Erfassung der Selbständigkeit des Geistigen stehen
bleibt, geht Fichte, wie man es auch bezeichnen kann, auf den i n -
n e r e n A n f a n g des Bewußtseins zurück. Dieser nicht von an-