[114/115]
127
die Selbstgleichheit (Ich = Ich) mit der Existenz Zusammenfalle; oder noch an-
ders ausgedrückt: das absolute Selbstsetzen (oder Sein) ist das Ich, und umgekehrt,
das Ich ist Selbstsetzen (oder Sein). — Dieser Gedankengang leuchtet aber erst ein,
wenn die Selbstsetzung erklärt und begriffen ist; an den Anfang gestellt, wie in
Fichtes „Wissenschaftslehre“ von 1794, wirkt er erschwerend.
b. „D as Ich s e t z t e i n N i c h t i c h“
1
, was wir mit dem
Satze erläutern können: Das Setzen ist zugleich ein Entgegensetzen.
Indem das Ich sich setzt, setzt es sich zugleich sich selbst engegen.
Im Setzen liegt zugleich ein Entgegensetzen, das heißt ein Vergegen-
ständlichen, Objekti- / vieren. — Dieser Lehrsatz ist vielleicht als
noch paradoxer empfunden worden als der erste, und doch gibt er
diesem erst seine volle Bedeutung. Einmal verstanden, leuchtet er als
unumstößlich ein. — Hier einige Hinweise.
α.
Es ist eine Urerfahrung, daß wir uns von u n s e r e r e i g e n e n
i n n e r e n A k t i o n v e r h ä l t n i s m ä ß i g g e t r e n n t f i n d e n . Wenn
wir z. B. einen Gedanken fassen, so können wir von ihm sagen, „daß wir ihn in
uns herumtragen“, „daß er uns verfolge“, „daß wir uns nicht von ihm befreien
können“; er ist also etwas verhältnismäßig von uns Getrenntes, etwas verhältnis-
mäßig Selbständiges, Gegenständliches — N i c h t i c h ! Ebenso sagen wir, es
„beherrsche“ uns ein Gefühl des Hasses, der Liebe, wir können „mit ihm nicht
fertig werden“; es ist also ein verhältnismäßig Objektives in uns. — Daß im Set-
zen auch die Vergegenständlichung (Entgegensetzung) liege, gehörte also zum
Urbestande unseres Geistes. Das Denken, Setzen enthält ein Gedachtes, Gesetztes,
Gegenständliches, Nicht-Ichhaftes. „So wie ich i r g e n d e t w a s v o r -
s t e l l e n s o l l , m u ß i c h e s d e m V o r s t e l l e n d e n e n t g e g e n -
s e t z e n“, sagt Fichte
2
.
β.
Nun könnte man einwenden, daß damit doch noch nicht die A u ß e n w e l t ,
die Sinnesempfindung, erklärt sei. Das ist richtig. Aber entscheidend bleibt doch:
daß Fichte im Setzen selbst etwas Gegenständliches, ein Nichtich, aufwies. Ver-
folgt man nämlich dieses Gegenständliche weiter, so ist zu unterscheiden — Fichte
selbst hat diese Unterschiede gemacht — einmal, das Ich findet sich von seiner
b e w u ß t e n Tätigkeit getrennt: Ich denke, ich handle, ich fühle in mir selbst —
hier ist mein Gedanke, meine Handlung, mein Gefühl ein mir selbst innerlich Ob-
jektives; und sodann: das Ich setzt sich in einer „ b e w u ß t l o s p r o d u z i e -
r e n d e n T ä t i g k e i t “ , wie Fichte später sagt. Hier erscheint das eigene Her-
vorbringnis als ein dem Ich Fremdes — die bewußtlose Hervorbringung ist der
Grund und Kern des Bewußtseins. Diese bewußtlose Produktion ist aber, wie
Fichte nachher sagt, die „ E i n b i l d u n g s k r a f t“. Durch sie besteht die sinn-
liche Empfindung und damit die sinnlich vorgestellte Welt, die Natur
3
.
1
Johann Gottlieb Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, § 2,
S. 101—105.
2
Johann Gottlieb Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794),
Leipzig 1921, S. 104 (= Werke, Ausgabe Medicus, Bd 1 = Philosophische
Bibliothek, Bd 127).
3
Johann Gottlieb Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, S. 96,
„Synthese E“.