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Schelling-Hegelischen Identitätsgedanken nur erweitert wird. Die
verschiedene Formulierung dieser Sätze weist auf verschiedene
Durchführungsversuche hin, aber die Einheit des Grundgedankens
bleibt unangetastet.
β.
Gesellschafts- und Sittenlehre
Als der Grundzug aller idealistischen Gesellschafts- und Sitten-
lehre von Platon bis zum deutschen Idealismus zeigte sich das Be-
streben, von der menschlichen Gemeinschaft als einer Gesamtganz-
heit auszugehen. Diesem Vorrange des Ganzen entspricht die Glied-
haftigkeit des Einzelnen, welche aber dessen Eigenleben (Persön-
lichkeit und Besonderheit) nicht ausschließt, vielmehr fordert.
Durch diese Gliedhaftigkeit ist einerseits die Zugehörigkeit des Ein-
zelnen zu besonderen Leistungen, Verrichtungen im Ganzen, das
heißt die ständische Natur des Ganzen; andererseits die Sittlich-
keit wesentlich mit aus den Anforderungen des Ganzen bestimmt,
daher die Sittenlehre der Gesellschaftsordnung / nachgeordnet. —
Der gleichartige Begriff des Führers, der Staatslenkung, der Autori-
tät, der sich ferner aus der ganzheitlichen Auffassung ergibt, wurde
früher gezeigt.
Ein anderer Grundzug ist, daß hinter dem Gesamtganzen der
Gemeinschaft das Übersinnliche steht nach der uralten Gleichung:
Weltordnung = Opferordnung = Rechtsordnung (Gemeinschaft,
Sittlichkeit). Alles Recht ist heiliges Recht; alle Sittlichkeit Ver-
gottung. All, Gemeinschaft, Einzelner sind Abbild des Schöpfers.
Der Zustand der Abgeschiedenheit
1
ist daher keine Verneinung
der Gemeinschaft, noch der Welt, sondern ihre Überhöhung
2
.
γ. Seelenlehre
Wie der Einzelne als geistiges Glied im geistigen Gesamtganzen
der Gemeinschaft, so ist auch sein geistig-seelisches Leben im Ge-
samtgeiste gliedhaft enthalten. „Gliedhaft“ heißt aber e b e n -
b i l d l i c h . Daher geht die Erforschung der Ausgliederungsord-
nung des gesellschaftlichen Gesamtgeistes jener des Einzelgeistes vor.
Gesellschaftsgeisteslehre ist vor Einzelgeistes- und Seelenlehre. Das
zeigt sich aufs deutlichste von Platon bis Hegel
3
.
1
Siehe unten S. 390 f.
2
Vgl. mein Buch: Religionsphilosophie, Wien 1947, S. 247 ff. und öfter.
3
Siehe oben S. 155, 183, 221 f. und 299 f.
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