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haftetheit andererseits bezeichneten. Erstere ist kulturzerstörend,
letztere zivilisationsfördernd.
Der A p r i o r i s m u s stützt sich auf das Verstandesbewußt-
sein, auf das Innewerden der Sicherheit des Denkens wie auch der
sittlichen Entscheidung, des sittlichen Bewußtseins, und ist in die-
sem Belange Rationalismus. Ohne den Verstand, so sagt er sich,
könnten wir die sinnlichen Bewußtseinserscheinungen nicht gestal-
ten, auffassen, ordnen, denken. Das Denken kommt ihm nicht aus
Verbindung der Sinneseindrücke und ihrer Erinnerungsbilder, son-
dern ist selbst etwas, etwas Eigengültiges. Eben dasselbe gilt für das
Sittliche (das wir aber hier beiseite lassen). Damit ist das Denken ein
Vorempirisches. Das sinnliche Bewußtsein wird, obgleich notwen-
dige Voraussetzung des Denkens, dem es den Stoff liefert, zu einer
Bewußtseinsschichte geringerer Stufe. Der natürlich-sinnliche
Mensch wird nicht geleugnet noch vernichtet, sondern als innere
Vorstufe mit hereingenommen und der in Denken und Sittlichkeit
sich als ein höheres, über der Natur stehendes Wesen erkennende
Mensch tritt hervor. Dazu kommt als ein skeptischer Bestandteil:
bei Sokrates das „Nicht-Wissen“; bei Kant die bloße Erscheinungs-
natur unserer Welt, während das „Ding an sich“ unerkennbar bleibt.
Im Ganzen ist der Apriorismus die Weisheit des verstandesmächti-
gen und sittlich-verantwortlichen Menschen.
Der I d e a l i s m u s kann so betrachtet werden, daß er einfach
die weiteren Folgerungen aus dem Apriorismus zieht, indem das
Vorempirische schon als eine Hindeutung auf ein intelligibles Reich,
ein überirdisches, übersinnliches Reich aufgefaßt und nun der Schritt
getan wird, dieses Übersinnliche als die Wahrheit und den tiefsten
Grund des menschlichen Wesens wie der ganzen Welt zu fassen. In
Wirklichkeit kann diese Folgerung nicht rein begrifflich gezogen
werden. Es gehört dazu eine neue, eine metaphysische Eingebungs-
grundlage. Der Idealismus muß auf das unmittelbare metaphysi-
sche / Erlebnis, auf das Erlebnis des mystisch-dunklen Grundes
und des Glaubens zurückgehen (hiervon ist nicht weiter zu spre-
chen).