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„Sophistes“ sagt, dem wahrhaft Seienden komme Denken und Leben zu

1

. Anders

auch Aristoteles, dem Gott das Sichselbst-Denken ist. Gott hat also die Unter-

scheidung des Gegenstandes in sich, hat gleichsam Reflexion in sich, und durch sie

entsteht die Welt. Ebenso Fichte, Schelling, Hegel: Die Ableitung des Endlichen

geschieht aus der Selbstanschauung Gottes. Das Endliche ist ja die Entfaltung der

göttlichen Potenzen in dieser Selbstanschauung (welche ja das dialektische Ver-

fahren sogar rein ableitend entwerfen und bestimmen wollte).

Aber auch diese Nichtübereinstimmung steht nicht eindeutig fest. Denn bei

Plotin sind auch Stellen vorhanden, welche auf eine Selbstanschauung nach aristo-

telischer Art hinweisen. Neben die Emanation tritt auch die Ableitung des End-

lichen aus der Selbstanschauung Gottes, also aus inneren Differenzen

2

.

B. V e r m i t t l u n g s l e h r e

Die Vermittlungslehre ist in der Mystik weniger ausgebildet als

im Idealismus. Denn der Mystik kommt es auf das Erleben des

Übersinnlichen an und das führt auf die Gottverwandtschaft des

menschlichen Geistes hin. Die E i n h e i t d e s F ü n k l e i n s

u n d G o t t e s ist daher der allen mystischen Richtungen ge-

meinsame Hauptbegriff. Daß Atman (Ich) gleich Brahman (Gott)

ist, ist eine Lehre, die in der altindischen Mystik in verschiede-

ner Form vorgetragen wird. „Was jenes Feine ist (der göttliche

Weltgrund, das Brahman), ein Bestehen aus dem ist dieses Welt-

all, das ist das Reale, das ist die Seele, das bist Du (tat tvam

asi) o Cvetaketu“, heißt es in der Chandogya-Upanishad (6, 8, 7 f.).

— Ebenso ist nach Aristoteles der

νούς

(höchster Geist) des Men-

schen göttlicher Herkunft; bei Platons uns zugänglichen Schrif-

ten / finden wir diese Lehre zwar weniger entwickelt, aber doch

unmißverständlich angedeutet

3

.

Auch die Lehre, daß der göttliche Weltgrund allen Geschöpfen zu-

grunde liegt, ist Gemeingut aller Mystik. Meister Eckehart sagt:

„Gott ist dem Stein und dem Holze ebenso nahe wie dem Men-

schen, aber sie wissen es nicht.“

4

Die Bhagavadgita sagt: „Ich bin

die Seele, die in der Tiefe aller Wesen weilt. Ich bin der Anfang der

1

Siehe oben S. 215.

2

Plotin: Enneaden, übersetzt von Richard Harder, Leipzig 1930—37, VI, 9, 6

und öfter (= Philosophische Bibliothek, Bd 221 a).

3

Siehe oben S. 217 ff.; außerdem Platon: Phaidros, 247 b ff., 97

c;

Gesetze,

966

c

und öfter.

4

Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857, S. 221,

Zeile 10.