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kennung des Über-Dir. Daß der Individualismus, dessen die Mystik

bezichtigt wird, nicht besteht, zeigte sich schon früher.

Die grundsätzliche Gleichheit aller mystischen G e i s t e s - u n d

S e e l e n l e h r e zeigte sich in dem, was sich früher über das

Fünklein und die Seelenkräfte ergab

1

. Das Fünklein heißt bei

Meister Eckehart auch das „Haupt der Seele“. Als oberster Seelenteil

wird der Geist

(νούς)

auch von Platon und Aristoteles bezeichnet,

letzterer trennt davon noch den schaffenden Geist

(νούς

ποιητικός

)

.

Daß der „schaffende Geist“ des Aristoteles nichts anderes als das

Fünklein ist, kann um so weniger bezweifelt werden, als ihn Aristo-

teles als göttlich bezeichnet.

In der S i t t e n l e h r e der Mystiker mag ein gewisses Schwan-

ken in der Bewertung des tätigen Lebens und des schauenden Le-

bens (der Abgeschiedenheit) zu finden sein, wobei freilich der Vor-

rang des / schauenden Lebens niemals angetastet werden kann. In-

dessen bleibt der Grundzug jeder mystischen Sittenlehre derselbe

und gleicht auch grundsätzlich jener der echt idealistischen Philoso-

phen. Dieser Grundzug ist die Vergottung des Menschen. Was die

Bhagavadgita, Platon, Eckehart, Fichte, Schelling, Novalis darüber

sagen, ist voneinander kaum zu unterscheiden.

Die Formen, in denen Abgeschiedenheit gesucht und geübt wird,

bezeichnen in allen Mystiken das gleiche Verhältnis tätigen und

schauenden Lebens. „Manche schauen“, heißt es in der Bhagavadgita

(XIII, 24), „mittels der Meditation (des Yoga) das Selbst (Fünk-

lein) durch sich selbst, in sich selbst, andere erkennen es durch Hin-

gabe an die Reflexion (Philosophie, sânkyam), noch andere durch

Hingebung an das (uninteressierte) Werk“. Dieselben Worte könn-

ten bei Meister Eckehart oder Platon stehen.

Die nähere Betrachtung würde zeigen, daß so gut wie in allen we-

sentlichen Punkten Übereinstimmung zwischen den Lehrern der

Mystik besteht. Da die großen idealistischen Philosophen ohne My-

stik nicht zu denken sind, so erstreckt sich diese Übereinstimmung

auch auf sie.

Die Lehren der Mystiker gehen aus eigener innerer Erfahrung

hervor, sie entstammen nicht willkürlicher Ausdacht, blasser Ge-

dankenlehre, „Speculation“. Und das ist der wahre Grund ihrer

Siehe oben S. 364 ff., 387 und öfter.