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sondern Grund und Wurzel des Wirkens, Grund und Wurzel aller

Tugenden. Soweit der Mensch in der Welt und Tätigkeit lebt, kann

er das nur aus innerer Abgeschiedenheit heraus.

Andrerseits sehen wir bei Meister Eckehart keine gleiche Ver-

ankerung des Zustandes der Schauung und Abgeschiedenheit in dem

Über-Dir der Ideenwelt und der durch sie begründeten Gemein-

schaftsordnung wie bei Platon. Im Unterschiede von Platon und des-

sen Ständegliederung, in welcher die Tugenden und die rechte Wirk-

samkeit der Seelenvermögen begründet werden

1

, finden wir bei

Meister Eckehart keine entwickelte Lehre von der Gliederung der

Gemeinschaftswelt, keine eigene Ständelehre.

Fehlt nun auch eine ausdrückliche Angabe einer Ständegliederung

und ebenso eine damit verbundene gesellschaftliche Tugendlehre, so

bedeutet das doch nicht, daß in Meister Eckeharts Mystik keine

Stellungnahme zum Leben und zur Gemeinschaft enthalten wäre.

Vor allem liegt auch, wie gegen eingewurzelte Irrtümer besonders

betont sei, kein Subjektivismus bei Meister Eckehart, noch bei

einem anderen wahren Mystiker vor.

Zur Entwicklung einer Gesellschafts- und Staatslehre war damals

kein Anlaß. Einerseits gab es eine „soziale Frage“ heutiger Art im

Mittelalter nicht, und auch keine politische Frage grundsätzlicher

Art (wie etwa Demokratie gegen ständische Gliederung oder der-

gleichen). Dadurch fiel die Notwendigkeit, sich über solche Fragen

zu äußern, weg. Andrerseits ist es die Aufgabe der Mystik über-

haupt nicht, die äußeren Aufgaben besonders ins Auge zu fassen.

Aber das bedeutet keine verneinende und weltfremde Haltung. Ist

es doch gerade Meister Eckehart, der eine Sittenlehre der Tätigkeit

verkündet. Dabei war es ihm selbstverständlich, daß die Gliederung

der Gesellschaft wie jene des Alls der Geschöpfe auf Abstufung, Ver-

schiedenheit hinauslaufe.

Schon dieser Grundgedanke der Gliederung des Alls spricht, um

auch in diesem Zusammenhange darauf zurückzukommen, gegen

die / landläufige Meinung, daß die Mystik grundsätzlich individua-

listisch (subjektivistisch) wäre. „Abgeschiedenheit“ ist kein Indivi-

dualismus, wie ich an anderer Stelle ausführlich darlegte. Die Ver-

bundenheit der Menschen in der Gemeinschaft ist für jeden Mysti-

1

Siehe oben S. 221 f.