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ker und auch für Meister Eckehart etwas Selbstverständliches. Das

gilt übrigens für die gesamte mystische Scholastik: Coniunctio ho-

minis cum deo est Coniunctio hominum inter se, sagt ein schola-

stischer Satz.

Damit stimmt es überein, daß Meister Eckehart die Lebensord-

nung seiner Zeit, die ständische Gesellschaftsordnung, grundsätzlich

bejaht, wie nämlich aus vielen Beispielen über Könige, Ritter,

Kriegsleute, die er in seinen Predigten gebraucht, unzweifelhaft

hervorgeht: „Jede Kreatur suchet ihre Stätte.“

1

Immer wieder

kommt er auf die Ungleichheit der Menschen und ihre verschiede-

nen Aufgaben zu sprechen und führt Beispiele aus allen Ständen,

auch von Handwerkern, Kaufleuten und so fort an, ohne je Wider-

spruch gegen die Standesgliederung zu erheben, „ . . . mit nichten

sind alle Leute in einem Wege zu Gott berufen“

2

.

b. Abgeschiedenheit

Der Hauptbegriff der Eckehartischen Lebenslehre, als praktische

Lebenskunst wie als Metaphysik wie als Sitten- und Gesellschafts-

lehre gefaßt, ist die Abgeschiedenheit. Diesen Begriff müssen wir

daher ausführlich erklären. Abgeschiedenheit ist der höchste Zu-

stand des Menschen, das höchste Ziel des Lebens. Daher beherrscht

dieser Begriff die gesamte Lehre Meister Eckeharts. Durch sie wird

die letzte Versenkung, die Einigung mit Gott im Seelengrunde, er-

reicht. Wie bei Platon, Plotin und allen anderen Mystikern ist die

Vergottung der Sinn des Menschenlebens und Leitstern der Sitten-

wie Gesellschaftslehre.

„Ich habe der geschrift vil gelesen, beide von heidenischen meistern unde von

wîssagen, unde von der alten ê (Altes Testament, Bund) unde von der niuwen

ê, unde habe mit erneste unde mit ganzem flîze gesuochet, welhiu diu beste unde

diu hoehste tugent sî, dâ mite der mensche sich zuo gote aller nêhest zuo ge-

füege müge unde mit der der mensche aller gelichest stüende dem bilde, als er in

gote was, in deme zwischen im unde gote kein underscheit was, ê daz got die

crêatûre beschuof. Unt sô ich alle geschrift durchgründe alse verre mîn

Ver-

nunft erziugen unde bekennen mac, sô vinde ich niht anders wan lûteriu abege-

scheidenheit ledig aller crêatûren. Dar umbe sprach unser herre zuo Marthen

.unum est necessarium', daz ist als vil gesprochen; wer unbetrüebet unde lûter wil

sin, der muoz haben einez, daz ist abegescheidenheit.

1

Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857, S. 173,

Zeile 9.

2

Meister Eckhart, S. 561, Zeile 33.