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Übereinstimmung. Um diese zu erklären, hat man lehrgeschichtliche
Abhängigkeiten, zum Beispiel der mitteralterlichen Mystiker von
den neuplatonischen, dieser wieder von morgenländischen angenom-
men. Welch ein Irrtum! Die gleiche innere Erfahrung ist es, aus der
die Gleichheit der mystischen Lehren aller Zeiten und Völker her-
vorgeht. Unsere Darstellung der Mystik würde sich dann auch nur
wenig ändern, wenn wir nicht Meister Eckehart, sondern die Inder
zur Grundlage genommen hätten, so sehr gleichen sich in ihrem
Kerne alle mystischen Lehren. Da infolge der geringeren Begriffs-
ausbildung die Bindung der mystischen Lehren an das Erlebnis en-
ger ist als beim Idealismus, ist die Verwandtschaft ihrer Lehren
umso einleuchtender.
Was sich durch Jahrtausende hindurch an den mystischen Grund-
lehren änderte, ist hauptsächlich dasjenige Gebiet, das mit dem Ver-
hältnis zur Religion und zum begrifflichen Wissen bezeichnet wird.
Daß die Mystik zum Heidentum und Christentum sich nicht ganz
gleich verhalten konnte und durch letzteres in manchen Punkten
ein / anderes Gepräge erhalten mußte, leuchtet ein. Daß sie auch
durch das begriffliche Wissen Abweichungen erhält, ist ebenfalls
klar. Aber alle diese Verschiedenheiten verleihen der Mystik nur
solche Ausprägungen, wie sie durch die Kunstausdrücke, die ganze
Art und Weise der Sprache, die Sinnbilder des Erlebens und äußere
Formen gegeben sind. Die sich aus der Religion ergeben, sind noch
am wesentlichsten, die durch die Begrifflichkeit bestimmten über-
raschend klein. Denn jede gelebte Mystik berührt die ungetrübte
Weisheit.
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