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Da es nun keine Terminologie zur ausreichenden Kennzeichnung
sichtbarer Momente im irrationalen Bereich gibt, vermeidet es
Spann, im Stil anderer Modeerscheinungen der Gegenwartsphilo-
sophie Kunstwörter dafür zu schaffen, und beschreibt einfache Re-
lationen, aus denen Stellung und Funktion des Subjektes im un-
mittelbaren Erleben klar ersichtlich werden. Es sind zunächst fol-
gende fünf Grunderlebnisse, beziehungsweise Grundformen der
Eingebung zu unterscheiden:
1.
Erlebnis der Erfahrung ausschließlich von der sinnlichen Seite
her;
2.
Erlebnis der Selbstgewißheit des auf Sinneserfahrung gegrün-
deten verstandesmäßigen Denkens;
3.
Erlebnis des Vorempirischen in der Erfahrung (Verstand und
Gewissen als B e d i n g u n g des Erkennens und Handelns);
4.
Erlebnis des Schöpferischen des Geistes (etwa der „Selbstset-
zung des Ich“ bei Fichte);
5.
Erlebnis des übersinnlichen Grundes des Ichs sowohl wie der
Naturwelt.
Uber eine sechste Erlebnisweise der Welt, womit Spann „außer-
ordentliche Seelenzustände (Ekstasen)“ meint, soll aus bestimmten
Gründen in der vorliegenden Betrachtung erst später ausführlich
die Rede sein
1
. Alle diese Grundformen der Eingebung sind für
Spann zugleich Standpunkte, von denen aus die Grunderlebnisse
bestimmt werden. Jeder davon „geht in seiner Eingebung um
eine Erlebnisschichte tiefer“. Die Grundcharakteristik jeder sol-
chen Eingebung, betrachtet als Weitsicht oder als philosophische
Haltung, bewegt sich in den weit abgesteckten Bereichen von
Empirismus und Idealismus, die für Spann keine streng von-
einander zu trennenden Bereiche sind und verschiedene Zwischen-
stufen und Mischformen aufweisen. Die Art der Eingebung beim
einzelnen Philosophen ist individuell verschieden und sie führt ihn
schließlich auf ihn selbst, auf die jeweils spezifische Individualität
zurück. Worin sich der einzelne Denker zu vertiefen hat, ist für
Spann das Wesen des Geistes, bis zu dessen letzter Tiefe niemand
vollkommen Vordringen kann; „ . . . aber es ist nicht unmöglich,
gleichsam die inneren Haltestellen zu bezeichnen, die der mensch-
1
Siehe unten Abschnitt III, S. 414 ff.