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und Erstarrung der verschiedenen, geschichtlich auffallend variab-
len Lehren nichts wissen will und anstatt von feststehenden Ge-
sichtspunkten und Systemen von verschiedenen nuancierten Aus-
gangspunkten und Aspekten der jeweiligen Betrachtungsweise aus-
geht, gehört Othmar Spann zu den letzten Systematikern unseres
Jahrhunderts, wobei er allerdings, wie kein anderer seiner Fach-
genossen, den Systemaufbau auf letzte Wurzeln zurückzuführen be-
müht ist. Doch scheint diese Zurückführung auf letzte Erlebnis-
formen im Gegensatz zum durchgängigen, systematisch-differen-
zierten Begriffsgebäude und zum gesamten Systemaufbau einen vor-
läufigen, fragmentarischen Charakter aufzuweisen, was im folgen-
den im einzelnen gezeigt werden soll.
Es ist eine an Klarheit kaum zu übertreffende Feststellung, daß
„der folgerichtige Empirismus die Erfahrung und das Denken
grundsätzlich auf die Sinneseindrücke“ zurückführt
1
, und dies ge-
mäß der von Spann beschriebenen ersten Erlebnisgrundform. Sobald
er aber Erfahrungszergliederung mit Erkenntnistheorie gleichsetzt
und nur von da aus die verschiedenen begrifflichen Formen des
Empirismus kurzerhand „rein logisch“ ableitet, ohne die Art von
Teilnahme eines (kaum nur empirischen!) Denkens als Voraus-
setzung der „erkenntnistheoretischen Zergliederung“, des „Begriff-
lichen“ an den Grundformen und der „rein logischen“ Ableitung
zu erwähnen, da muß man wohl gerade bei dieser stillschweigenden
Heranziehung rein logischer Kategorien erste Bedenken anmelden.
Gemeint ist damit zwar eine niedere Form des Denkens, die noch
nicht von der zweiten Erlebnisform ausgeht, in der „Verstand und
Denken mit ihrer Selbstgewißheit in den Vordergrund treten“, wie
das erst bei dem höheren (rationalistischen) Empirismus der Fall
sein soll
2
. Da jedoch auf dieser ersten Stufe des Denkens, der die
Selbstgewißheit der zweiten Stufe fehlt, bereits eine Erkenntnis-
theorie und logisches Ableiten von begrifflichen Formen und Aus-
prägungen gewährleistet werden, kann dieses Denken in seinen lo-
gisch (und dadurch irgendwie apriorisch oder auch ganzheitlich)
fundierten Leistungen keineswegs a u c h f u n k t i o n e l l von
einem intensiveren Denken wesentlich unterschieden werden, weil
1
Siehe oben S. 26.
2
Siehe oben S. 35 f.