Table of Contents Table of Contents
Previous Page  62 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 62 / 9133 Next Page
Page Background

61

Wirklichkeit) eingräbt, sie zerspaltet, zersetzt“, verstanden werden

1

.

„Was das Erkennen mit seinen Werkzeugen bewältigen kann, was

als unzersetzbare Tatsache ... zurückbleibt, das muß sich hier zei-

gen: kurz, einer Erkenntnistheorie der Geisteswissenschaften ...

bedarf es, welche den Begriffen und Sätzen derselben ihr Verhältnis

zur Wirklichkeit, ihr Verhältnis zueinander sichert.“

2

Ist nun einer-

seits eine unmittelbare, in der Gesamtanschauung der geschichtlich-

gesellschaftlichen Wirklichkeit sich vollziehende Erkenntnis des

G a n z e n derselben schon praktisch deswegen unmöglich, weil das

die menschliche Anschauungskraft übersteigen würde

3

, und ist an-

dererseits jenes Zurückgehen auf den Urquell alles Erfahrens nötig,

weil alle Erfahrung und alle Wissenschaft ihren ursprünglichen Zu-

sammenhang in den Bedingungen unseres Bewußtseins haben

4

so ist es klar, daß eine Besinnung auf die Bewußtseinsbedingungen

„erst die Grundlagen für das Zusammenwirken der Einzelwissen-

schaften in der Richtung auf die Erkenntnis des Ganzen“ schafft

5

,

indem sie ihnen eben einen sicheren Denk- und Evidenzzusammen-

hang gibt. D i e s e sozialen Einzelwissenschaften sind dann d i e

e i n z i g e n H i l f s m i t t e l d e r E r k l ä r u n g d e r G e -

s c h i c h t e , der Erkenntnis des Ganzen von Geschichte und Ge-

sellschaft. Denn da nun die Einzelwissenschaften kraft der erkennt-

nistheoretischen Selbstbesinnung ihre Beziehungen zur Wirklichkeit

und untereinander in ihre wissenschaftliche Rechnung aufnehmen,

wird ihre Anwendung in einer „fortschreitenden Geschichtswissen-

schaft“ möglich und fruchtbar. Diese ist nun nicht Gesamtanschau-

ung, sondern A u f l ö s u n g eines unermeßlich Zusammengesetz-

ten in seine B e s t a n d t e i l e . Es verwirklicht sich demnach die

Erkenntnis des Ganzen der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklich-

keit — so lautet das Resumé Diltheys — „sukzessive in einem auf

1

Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883,

S. 117.

2

Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883,

S. 117.

3

Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883,

S. 138.

4

Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883,

S. XVI, 117 und öfter.

5

Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883,

S. 117.