59
näher zu verdeutlichende Absicht Diltheys seine t e c h n i s c h e
U m f o r m u n g des soziologischen Problems; sie betrifft, wie her-
vorgehoben, hauptsächlich dessen entwicklungsgeschichtliche Seite.
Wir nennen sie t e c h n i s c h e Umformung, weil das Problem
selbst unverändert bestehen bleibt und nur technisch in anderer
systematischer Bearbeitung und Aufteilung erscheint.
2.
Den zweiten Bestandteil von Diltheys Kritik des Problems der
Soziologie bildet der Gedanke, es sei nötig, eine e r k e n n t n i s -
t h e o r e t i s c h e Grundlegung der sozialen Einzelwissenschaften
herzustellen; dies ist: „ein Bewußtsein über das Verhältnis ihrer
Wahrheiten zu der Wirklichkeit, deren Teilinhalte sie sind, sowie
zu den anderen Wahrheiten, die gleich ihnen aus der Wirklichkeit
abstrahiert sind“
1
. Dies nennen wir seine e r k e n n t n i s t h e o -
r e t i s c h e U m f o r m u n g des soziologischen Problems. Sie
betrifft die statische Seite desselben, und es liegt in ihr wirklich eine
neue selbständige Auffassung, eine innere Umformung vor. — Mit
der äußerlich-technischen Umformung hat Dilthey die Soziologie
für die dynamische Seite ihres Problems (welches selbst aber nicht
grundsätzlich verneint wird) als Wissenschaft verneint; mit der er-
kenntnistheoretischen Umformung desselben hat er ihre statische
Seite festgehalten; die Soziologie bleibt als soziale Zustandswissen-
schaft, wenn auch speziell als E r k e n n t n i s t h e o r i e der sozia-
len Wissenschaft bestehen.
Diese, wie ersichtlich nicht neben ganz einfachen, besonders aber
aus Diltheys eigener Darstellung nicht leicht zu entwirrenden Be-
standteile der Diltheyschen Kritik des Problems der Soziologie ver-
langen je für sich eine selbständige Prüfung. Wir wenden uns gleich
der Untersuchung der ersten Frage zu:
gesellschaftlichen Wirklichkeit die menschliche Anschauungskraft gänzlich über-
steigt“. (Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig
1883, S. 138.) — Dem sei schon hier entgegengehalten, daß der „Inbegriff aller
Kausalbeziehungen, welche die Veränderungen innerhalb des Totalzusammenhan-
ges der Gesellschaft hervorbringen“, ja in einem P r i n z i p beruhen kann und
sonach die Leistungsfähigkeit der menschlichen Anschauungskraft nicht angerufen
zu werden braucht — wie es die größeren geschichtsphilosophischen Versuche
und der auf einer induktiveren Basis aufgebaute historische Materialismus dar-
tun.
1
Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883,
S. 145.