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derselben, endlich ihre W e i t e r v e r a r b e i t u n g die grund-

legenden Tatsachen bilden, wurde schon festgestellt.

Die Verarbeitung selbst besteht in der Kunst aus einer Unter-

gliederung der Gesamtgestalt in T e i l g e s t a l t e n ; in der

Wissenschaft des Gesamtgegenstandes in T e i l g e g e n s t ä n d e .

Darf man diese Verarbeitung in der Wissenschaft „Z e r 1 e g u n g“,

„Analyse“ nennen, so auch in der Kunst. Was dort ein zerlegendes

Vergegenständlichen (Teilbegriffe bilden, Begriffsanalyse), ist hier

ein zerlegendes, fortgliederndes Gestalten (Teilgestalten bilden, Ge-

staltanalyse). Ferner ist das verarbeitende Denken ebenso wie das

verarbeitende Gestalten eine Tätigkeit, welche stetes F e s t h a l t e n

a n d e r G r u n d e i n g e b u n g und an den die fortbildende

Hervorbringung ergänzenden H i l f s e i n g e b u n g e n verlangt.

Ebenso ist hier wie dort die Weiterverarbeitung mehr an T r e u e

u n d F 1 e i ß als an Schöpferkraft gebunden. Daher finden wir in der

Wissenschaft ähnlich wie in der Kunst die eingebungsvolle Leistung

von der verarbeitenden, systematischen Leistung verhältnismäßig

getrennt. Wo die stärkste Eingebung zu finden ist, muß nicht auch

die sorgsamste Verarbeitung zu finden sein. Wie bei Platon, Fichte,

Schelling in der Philosophie, so finden wir auch in der Kunst zum

Beispiel bei Shakespeare, Goethe oder Schubert trotz der Fülle groß-

artiger Eingebungen manchmal geringere Sorgfalt in der Ausarbei-

tung. Mozart und Schiller ragen dadurch besonders hervor, daß

tiefe Eingebung und / strenge Ausarbeitung bei ihnen Zusammen-

treffen. Dieselbe Entsprechung zeigt sich ferner auch darin, daß die

Stärke des kleineren Künstlers ebenso wie des kleineren Gelehrten

in der Ausarbeitung liegt, in Sorgfalt und Fleiß. Ja, dieser Gegensatz

von Eingebung und Ausarbeitung tritt in der Wissenschaft noch

mehr hervor als in der Kunst. (Beispiel: Faust — Famulus Wagner)

1

.

Er kann sich in der Kunst deswegen nicht in gleicher Schärfe zeigen,

weil der bloß skizzierende Künstler, der die Eingebung nur hin-

würfe und nicht ausarbeitete, in den meisten Künsten kaum denkbar

wäre, zum Beispiel kann ein Schauspieldichter nicht nur einige

Hauptgestalten, ein Operntonsetzer nicht nur einige Weisen auf-

schreiben. Er muß das ganze Schauspiel, die ganze Oper geben. Da-

1

Vgl, oben S. 69 und 80.