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Haushaltrechnungen — bestimmt. Nicht einmal das sogenannte „physiologische
Existenzminimum“ ist gleich. Denn je nach dem durchschnittlichen Lebensalter, das
bei einem bestimmten Wohlstande in einer bestimmten Kultur erreicht wird oder
erreichbar wäre, aber auch je nach den Mitteln, welche eine Kultur zur Sicherung
eines solchen „ E x i s t e n z m i n i m u m s “ in rein geistiger Hinsicht bereitstellt,
ändert sich das Mindestmaß der Daseinsfristung. Man denke nur an den Islam,
welcher bestimmte Waschungen vorschreibt, dagegen bestimmte Nahrungsmittel,
z. B. Wein, verbietet.
Bezeichnend ist denn auch, daß es die empiristische Seelenlehre nicht einmal
zu einer begründeten E i n t e i l u n g d e r B e d ü r f n i s s e brachte. Nur der
atomistischen Volkswirtschaftslehre blieb es Vorbehalten, von einer solchen zu
sprechen. Genauer entwickelt hat sie sich aber selbst da nicht, auch nicht in ihren
psychologistischen Schulen. Warum? — weil sich bei jedem Versuche, der unter-
nommen wurde, die Unmöglichkeit der Durchführung herausstellte, sobald es
ins einzelne ging.
Von den hiermit verständlich gemachten E n t s p r e c h u n g e n
d e s h ö h e r e n G e i s t e s l e b e n s im Sinnlichen wenden wir
uns nun diesem selbst zu. Wir erkannten schon in früherem / Zu-
sammenhange den I n s t i n k t in seiner Bedeutung als Vorbe-
dingung der sinnlichen Empfindungen und in seiner Wesenheit als
Äußerung der Ganzheit, der Gattung.
Begreift man den Instinkt aus der Ganzheit und der Gezweiung höherer Ord-
nung, dann versteht man auch seine grundlegende Bedeutung: Er knüpft in der
Sinnlichkeit das Einzelwesen an das Allgemeine, an die Gattung. Im Instinkt
spricht sich darum die H i n o r d n u n g d e r W e s e n a u f e i n a n d e r a u s .
Sei es als unbewußte, unbedachte Abneigung oder Zuneigung zu Menschen, Tier
und Natur, sei es als dunkle Regung der Zusammengehörigkeit und Förderlichkeit
oder der Gefährlichkeit gegenüber der Nahrung und den allgemeinen Lebens-
bedingungen. So e r k e n n e n w i r i m I n s t i n k t e d i e l e t z t e E n t -
s p r e c h u n g d e r G e z w e i u n g w i e d e r .
Sind aber, wie sich zeigte
1
, die inneren Sinnesempfindungen und Triebe
Besonderungen des Instinktes, allerdings bestimmt durch die Verrichtungserfor-
dernisse des Leibes, die äußeren Empfindungen weitere Besonderungen, nämlich
des Allsinnes des gesamten Leibes, aber durch den Bezug auf die Gegenstände
(Reize) der äußeren Natur mitbestimmt — dann eröffnen sich hier weitere, aber
nur mittelbare E n t s p r e c h u n g e n z w i s c h e n G e i s t , L e i b u n d
N a t u r , deren Ableitung in der Geisteslehre selbst nicht mehr möglich ist
2
.
II. Ableitung der Teilinhalte
Bezüglich der Teilinhalte ist die Setzung oder Ausgliederung als
Urtat mit dem Begriffe der Ganzheit von selbst gegeben. Daß diese
1
Siehe oben S. 116 ff.
2
Andeutungen darüber siehe aber oben S. 137 f., unten Rückverbundenheits-
lehre; Geschichtsphilosophie, Jena 1932, S. 401 ff.