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rung, welche die neuzeitliche Physiologie allerdings vergessen hat,

aber von Ignaz Paul Vitalis T r o x 1 e r in seinem tiefsinnigen

Werke „Blicke in das Wesen des Menschen“

1

wieder entdeckt und

begeistert entwickelt wurde, nichts anderes als das System der Spi-

ration und des Umlaufes: H e r z u n d A t m u n g , woran sich

schließen: B l u t , L u n g e , G e f ä ß s y s t e m mit ihren unmit-

telbaren Folgerungen.

Von jeher ist die sinnbildliche Stellung des Herzens in der Mitte

des Leibes aufgefallen. Und unleugbar ist, daß sich das Herz als der

sichtbare Träger der selbsttätigen Lebensbewegungen, als Herd des

Lebens darstellt. Gewiß ist das nur ein äußeres Bild, das unsere Be-

hauptung noch nicht beweist. Mehr aber sagt schon der Umstand,

daß seit alters her ekstatische Menschen berichten, das Leben er-

schiene ihnen wie eingeschlossen im Innern des Herzens. So schon

die Upanischaden

2

; für das neuere Schrifttum Belege bei E. Ma-

thiesen

3

. Troxler selbst begründet seine Ansicht / unter anderem

durch die Unzulänglichkeit der rein mechanistischen Auffassung der

modernen Physiologie.

Er sagt: „Jeder Betrachtung verrät das Herz — dieser nur in den ältesten

Überlieferungen und in den allgemeinsten Anschauungsweisen hinlänglich ge-

würdigte Metropol des natürlichen Menschen — den Einfluß eines überirdischen

Prinzips, welches nicht mehr wie ein Unendliches über seinem irdischen Organe

schwebend sich in ihm durch außerwesentliche Rührungen und Regungen kund-

gibt, sondern in seine Endlichkeit selbst eingegangen, es erzittern und das Blut

erröten macht.

Das Herz ist das Hauptorgan des Atemholens; es atmet aber das Herz nicht

nur der Welt zu und aus ihr ein, sondern in ihm weht noch ein ganz anderer

Odem nieder in den Menschen — der Geist, der ihn belebt!

Dieses ist die wahre Inspiration, die dem Leben zugekehrte, die ihr über der

dem Tode zugewandten verkannt! In dieser trinkt der Mensch allein die wahre

Lebensluft und lebte nicht ohne sie und atmete nicht.

Es lebt ja der Mensch und atmet schon, ehe er den Dunstkreis der Welt

berührt; wie vermöchte ihn denn selbst der Geist von dieser Welt in menschliches

Leben zu rufen?

Was ihr Atmen nennt, ist nur Respirieren und Exspirieren, und dieses und jenes

nur ein bloßes Lebens m i t t e l , das das Atmende aus der Welt anzieht und

wieder in sie ausstößt und vermöge dessen es nur ein Leben zeitlichen und

örtlichen Verkehrs führt, dessen Aufhebung bloß Scheintod ist.

1

Ignaz Paul Vitalis Troxler: Blicke in das Wesen des Menschen, Aarau 1812,

Neudruck Stuttgart 1921.

2

Chandogya-Upanishad, 8.

3

Emil Mathiesen: Der jenseitige Mensch, Berlin 1925, S. 725, 796 f.