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301

dann könnten sie ja auch niemals „in das Bewußtsein erhoben“

werden. Was nicht wenigstens Spuren von Wachheit, Bewußtheit

besitzt, kann auch niemals „geweckt“, niemals in das Bewußtsein

„erhoben“ werden. Auch handelt es sich dabei nicht durchaus, wie

die Worte „unbewußt“ und „unterbewußt“ zu sagen scheinen, um

Vorgänge, die von geringerer Art wären als die verarbeitenden,

zerlegenden („reflexiven“) Vorgänge. Eher möchte vielmehr die

Eingebung oder das Gewissen von höherer Art sein.

Wir wollen daher lieber die Bezeichnung Vor-Bewußtes, welche

nach verschiedenen Seiten hin Möglichkeiten offen läßt, / gebrau-

chen, eine Bezeichnung, die schon der jüngere Fichte verwendete.

Die Entdeckung des Vorbewußten oder „Unbewußten“ nimmt in

der Schellingischen Naturphilosophie ihren Ursprung. Die Geistes-

lehre der gesamten Romantik und des deutschen Idealismus arbei-

tete mit diesem Begriffe. Schopenhauer übernahm ihn von diesen

seinen Vorgängern, schlug aber (wie auch sein Nachfolger Eduard

von Hartmann) eine falsche Richtung ein. Er faßte das Vorbewußte

als b l i n d e n Trieb, blinden Weltgrund und brachte es so in

einen falschen Gegensatz zum Bewußtgeistigen. Vor Hartmann hat-

ten jedoch die Nachromantiker Gotthilf Heinrich von S c h u -

b e r t

1

, d e r j ü n g e r e F i c h t e

2

, besonders aber Carl Gustav

C a r u s

3

das Vorbewußte in die Geisteslehre eingeführt. Beson-

ders Carus arbeitete so planmäßig mit dem „Unbewußten“ als

einem systematischen Hauptbegriffe der Psychologie wie keiner

vor ihm.

Damals, als die romantische und idealistische Schule die „Nacht-

seite“ des Bewußtseins behandelte (eine Bezeichnung, die Gotthilf

Heinrich von Schubert gebrauchte), zog sie sich Spott und Hohn

seitens der naturalistischen Seelenlehre zu. Heute versuchen dage-

gen viele naturalistische Psychologen und „Psychoanalytiker“ den

Begriff des Unbewußten in ihre Lehre einzubeziehen. In Wahrheit

aber waren die alten Gegner des „Unbewußten“ folgerichtig, daher

1

Gotthilf Heinrich von Schubert: Die Geschichte der Seele, Stuttgart 1830,

5. Aufl., Stuttgart 1878.

2

Immanuel Hermann Fichte: Psychologie, Bd 1, Leipzig 1864, Bd 2, Leip-

zig 1873; Anthropologie, Die Lehre von der menschlichen Seele, Leipzig 1856,

3. Aufl., Leipzig 1876.

3

Carl Gustav Carus: Psyche, Pforzheim 1846, Neudruck Leipzig 1926.